Wogen der Liebe
Viviane zurück.
»Dieser schreckliche Kerl will mich foppen«, schimpfte die zweite alte Frau. Aus der ersten war ein junger Mann mit etwas spitzer Nase geworden, der kichernd zur Seite sprang.
»Du fällst aber auch immer wieder darauf herein, Urd«, grinste er.
»Verschwinde, Loki! Mit dem Schicksal treibt man keine Scherze.«
Mit einer heftigen Bewegung stieß sie Loki beiseite.
Loki? Den Namen hatte sie doch schon einmal gehört. Viviane wollte sich schleunigst zurückziehen. Doch wohin?
Die Alte, die Loki Urd genannt hatte, winkte Viviane heran, während Loki sich kichernd ins Dickicht verzog.
»Du brauchst dich nicht zu fürchten. Vor dem Schicksal darf sich niemand fürchten, denn man kann ihm nicht entfliehen. Nur dieser Loki will alles durcheinanderbringen.« Sie blickte sich suchend um, doch Loki war verschwunden.
»Ich bin Urd, das Gewordene. Und das sind meine Gefährtinnen Verdandi und Skuld. Wir wohnen hier am Fuß der Weltenesche und spinnen oft am Brunnen.«
Erst jetzt entdeckte Viviane den Brunnen zwischen den Wurzeln des mächtigen Baumes und auch die beiden anderen Frauen.
»Was tut ihr hier?«, wollte Viviane wissen.
Urd lachte. »Wir sind Nornen und spinnen die Fäden des Schicksals. Auch deine.«
Abwehrend hob Viviane die Hände. »Wollt ihr mir Böses?«
Urd nahm die Spindel zur Hand, die Loki hatte fallen lassen, und spann den Faden weiter. Doch er war nicht grün, sondern schwarz wie Ruß.
»Ob es gut oder böse ist, liegt im Auge des Betrachters. Du bist in den See gestiegen und hast Frigg geopfert. Man opfert nur, wenn man sie gnädig stimmen will.« Sie lachte leise vor sich hin. Der rußschwarze Faden wickelte sich um die Spindel.
»Das ist das Gewesene, mein Kind. Deine Vergangenheit. Verdandi spinnt die Schicksalsfäden für das Werdende.«
Jetzt bemerkte Viviane, dass deren Spindel einen grünen Faden spann. »Es soll also sein, dass ich diesen Mantel webe?«, fragte sie beklommen.
Urd wies auf Skuld, die nicht spann, sondern dünne Stäbe schnitzte. Sie versah sie mit Runenzeichen und warf sie dann auf die Erde. »Das ist das Werdensollende, deine Zukunft, Viviane.«
Neugierig reckte Viviane den Hals. »Was bringt mir die Zukunft?«
»Ich sehe einen Mann und eine Frau«, murmelte Skuld. »Sie gehören zusammen, doch es trennt sie Wasser. Das Wasser weicht dem Feuer. Das Feuer weicht dem Stein. Der Stein weicht dem Eisen. Ich sehe ein Schwert. Es sprüht grüne Flammen. Ich sehe einen Baum. Ich sehe zwei Männer kämpfen.«
Viviane hielt den Atem an. »Wer sind die beiden Männer? Wie geht der Kampf aus?«
Doch statt einer Antwort verschwanden die Frauen wie im Nebel. Nur die Spule mit dem grünen Faden lag am Boden. Viviane hob sie zögernd auf. Sie musste diesen Mantel für Thoralf weben. Was die Zukunft bringen würde, wusste sie nicht.
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Der Mantel
V iviane hockte vor dem großen Webstuhl, der in der Mitte des Haupthauses stand. Sie vermutete, dass Thoralf bestimmt hatte, dass sie den Mantel auf diesem Webstuhl herstellte. Hier wurden nur Stoffe für die Fürstenfamilie gewebt. Für die Sklaven, Knechte und Mägde befanden sich andere Webstühle in den Hütten. Langsam begriff Viviane, wie das große Anwesen funktionierte. Astrid, die Herrin, gebot über alles, was die Führung des Haushaltes, die Vorratshaltung, Tierhaltung und Herstellung betraf. Sie prüfte persönlich die Hütten der Mägde auf Ordnung und Sauberkeit. War sie nicht zufrieden, wurde zuerst Truud, die Großmagd, bestraft. Doch die war hinterher, sich nichts zuschulden kommen zu lassen. Umso mehr trieb sie die ihr anvertrauten Sklaven und Mägde an. Nur Viviane wagte sie kaum noch herumzuscheuchen. Thoralf hatte einen Wunsch geäußert, und der war auch für Truud Befehl. So ließ sie Viviane in Ruhe und beauftragte sie nicht mehr mit niederen und unangenehmen Arbeiten. Die musste nun Raudaborsti allein erledigen.
Der große Webstuhl war massiv gebaut und reichte bis an die Deckenbalken des Mittelraumes. Die Kettfäden wurden mit Steingewichten gespannt. Das erleichterte das Arbeiten und erzeugte einen gleichmäßigen Stoff. Viviane gab sich die größte Mühe, obwohl sie keine große Erfahrung damit hatte. Von fern hörte sie das metallische Hämmern aus der Schmiede. Lieber wäre sie zu Oleif gegangen und hätte ihm zugeschaut, wie er Messer oder Schwerter herstellte.
Das Weberschiffchen war lang, da der Stoff recht breit wurde. Sorgfältig hatte Viviane den Schussfaden
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