Wogen der Liebe
war Gunnardvigas Bruder.
»Du weißt schon«, murmelte er, während er den Zügel seines Pferdes packte. »Es dauert eben noch etwas bis zur Hochzeit.« Dann schwang er sich auf seinen Falben und schlug ihm heftig die Fersen in die Flanken. Asgeir starrte ihm mit einem nicht sehr geistreichen Ausdruck hinterher.
Dalla trat aufgeregt von einem Fuß auf den anderen. »Willst du ihn nicht suchen lassen?« Sie blickte ihre Mutter fordernd an.
»Er kommt von allein zurück«, erwiderte Astrid. »Es wird sich die Gelegenheit ergeben, mit ihm zu sprechen.«
»Mutter! Er ist dabei, eine Dummheit zu begehen. Und diese Sklavin muss sofort verschwinden. Verkaufe sie, wirf sie ins Wasser.«
Astrid fuhr herum, und eine steile Zornesfalte bildete sich zwischen ihren Augenbrauen. »Wie sprichst du mit deiner Mutter? Du hast mir nicht vorzuschreiben, was ich zu tun habe. Das weiß ich selbst. Thoralf ist mein Sohn. Auf seine Mutter wird er hören. Aber ich werde ihn nicht beschimpfen wie ein altes Weib. Und du wirst den Mund halten. Es ist meine Aufgabe, für den häuslichen Frieden zu sorgen.«
Dalla schob schmollend die Unterlippe vor. »Aber ich habe es gesehen. Du nimmst es nicht ernst genug. Er hat sie geküsst, und sie hat ihn wiedergeküsst. Er hat sie sich nicht einfach genommen wie irgendeine Sklavin. Das … das war anders.«
»Was verstehst du von solchen Dingen? Du solltest dich nicht immer zwischen den Mägden und Knechten herumtreiben, dann siehst du auch nicht Dinge, die du nicht sehen solltest.«
»Ich habe es aber gesehen, und wir dürfen es nicht dulden.«
»Ich werde es nicht dulden«, erwiderte Astrid ungehalten. »Und nun kümmere dich um deine Aussteuer, sonst will dich kein Mann haben, wenn du nur herumschnüffelst und keifst.«
Beleidigt verschwand Dalla im Haus, nicht ohne der am Webstuhl arbeitenden Viviane einen giftigen Blick zuzuwerfen. Auch Astrid beobachtete Viviane durch die Türöffnung. Was war bloß in Thoralf gefahren? Doch es gab nichts, was sie bei ihrem Lieblingssohn nicht wieder richten konnte. Und so fasste sie sich in Geduld, bis Thoralf zurückkehrte. Es konnte einige Tage dauern. In der Zwischenzeit sollte Viviane den Mantel zu Ende weben. Danach würde sich Astrid auch für diese Sklavin eine Lösung einfallen lassen. Keineswegs würde die Hochzeit mit Gunnardviga gefährdet werden. Nicht wegen einer fremdländischen, rothaarigen Sklavin!
Thoralf ahnte nicht, dass seine geheime Leidenschaft beobachtet worden war. Er wähnte sich sicher, und es war doch nur ein Kuss gewesen, den er Viviane geschenkt hatte. Ein Kuss! Nein, es war mehr. Seine Träume verrieten es.
Er ärgerte sich über Asgeir, weil dieser ihm gefolgt und ihn in seinen Träumen beobachtet hatte. Ja, er wollte es als sein Geheimnis bewahren. Viviane war sein Geheimnis. Wie der Fuchs in seinem Bau sollte sie in ihm wohnen, und wehe dem Jäger, der sie da herausjagen wollte!
Ziellos irrte er durch die Gegend, wollte vergessen, was ihm seine Träume erzählten. Denn die Wirklichkeit sah anders aus. Er versuchte sich Gunnardvigas Gesicht, ihre Gestalt, den Klang ihrer Stimme ins Gedächtnis zu rufen. Alles, was er bisher getan hatte, seine Beutezüge, sein Handel, der Kampf um Ruhm und Ehre, hatte er für sie getan, um ihr zu imponieren, sie zu erobern. Ja, sie war ihm als Kind versprochen worden, doch was wäre er für ein Wikinger, würde er nicht auch ihr Herz, ihre Bewunderung, ihre Liebe erringen?
Liebe? Was war das eigentlich? Er hatte keine Ahnung. Er war bislang überzeugt gewesen, Liebe könnte er sich erkämpfen wie seine Beute. Liebe, war das nicht Respekt, Bewunderung, Hingabe? Oder war es Sehnsucht? Oder vielleicht sogar Schmerz, der Schmerz, den er in seiner Brust verspürte? Er wusste es nicht, und es machte ihn wütend und ratlos.
Er wendete sein Pferd und ritt zum Hof zurück. Je näher er kam, umso heftiger schlug sein Herz. Er wollte Viviane wiedersehen. Sie würde im Haupthaus sitzen und an seinem Mantel weben. Dieser Mantel würde ein Teil von ihr sein, etwas, das er sich um die Schultern legen konnte. Er verspürte ein Kribbeln unter der Haut. Dieser Mantel würde ihn mit Viviane verbinden. Er freute sich darauf.
Im Hof sprang er von seinem Falben und überließ ihn einem Knecht, der das schwitzende Pferd abreiben und versorgen würde. Er wollte ins Haus eilen, doch in der Tür stand seine Mutter, unerschütterlich und abweisend. Diese Haltung bildete einen Gegensatz zu ihrem milden
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