Wohin das Herz uns trägt
versuchte sich ein Lächeln zu verkneifen.
»Sag mir, was dir durch den Kopf geht«, fauchte Ellie.
»Als ich klein war, war ich mal furchtbar in Cal verschossen. Er hat all das für mich verkörpert, wovon ich mit elf Jahren geträumt habe. Aber er hatte immer nur Augen für dich. Jedes Mal, wenn du dich davongeschlichen hast, um dich mit ihm zu treffen, bin ich fast gestorben vor Eifersucht.«
»Du wusstest, dass ich mich mit ihm getroffen habe?«
»Wir haben in einem Zimmer geschlafen. Bin ich vielleicht taub? Dass ich dich nie verpetzt habe, heißt noch lange nicht, dass ich nichts davon wusste! Der Punkt ist, ich weiß noch, wie du ihn abserviert hast. Den Rest des Sommers ist er trotzdem weiter vorbeigekommen und hat Steinchen ans Fenster geworfen, aber du hast einfach nicht reagiert.«
»Wir haben uns auseinanderentwickelt.«
Julia warf ihr einen abschätzigen Blick zu. »Ach komm. Als diese Football-Knaben deine Brüste gesehen haben, hast du dich nur noch für die interessiert. Der arme Cal war abgeschrieben. Und als du Cheerleader geworden bist, na ja ...« Julia zuckte die Achseln. »Da warst du ein Star und hast es in vollen Zügen genossen. In dieser Hinsicht warst du wie Dad. Du ... du hast Cal nicht mehr wirklich beachtet, aber irgendwie trotzdem in deiner Nähe gehalten, wie einen Satelliten in der Umlaufbahn. Das ist dieser Zauber, den du und Dad ausstrahlt. Die Leute können nicht anders, sie müssen euch lieben - selbst wenn ihr manchmal total von eurem eigenen Kram vereinnahmt seid.«
»Dann findest du also auch, dass ich egoistisch bin? Sind meine beiden Ehen deshalb in die Brüche gegangen?«
»Denkst du das?«
»Gehört das zu den Fragen, die du in zehn Jahren College gelernt hast?«
Julia lachte. »Genau. Hier ist noch eine: Wie fühlst du dich damit?«
Darauf wusste Ellie keine richtige Antwort. Dieses neue Bild von sich kam ihr nicht vor wie ein Spiegelbild, sondern eher wie eine Alternativversion, die sie noch ändern oder aus der sie sich herausreden konnte, wenn sie sich entsprechend Mühe gab. Schließlich hatte sie sich selbst immer für einen guten Menschen gehalten, für einen, der sich wirklich um andere kümmerte. »Es tut mir leid«, sagte sie leise.
»Was tut dir leid?«
»Dass ich dich den Medien zum Fraß vorgeworfen habe. Es ging mir nur darum ...« Eigentlich wollte sie sagen: Alices Namen herauszufinden , aber die hübsche kleine Lüge blieb ihr im Hals stecken. Denn das stimmte bestenfalls teilweise. »Ich wollte nicht als Versager dastehen. An deine Gefühle hab ich dabei kaum gedacht.«
Zu ihrer Überraschung lächelte Julia. »Lass dir mal deswegen keine grauen Haare wachsen.«
»Ich wusste nicht, wie schlimm es für dich werden würde falls das jetzt noch eine Rolle spielt. Wenn ich das geahnt hätte, wäre ich vielleicht ...« Als sie Julias Blick sah, musste Ellie lachen. »Okay, das hätte nichts geändert. Aber es tut mir leid.«
»Das ist nicht nötig. Wirklich. Alice ist meine zweite Chance. Was ich ohne sie getan hätte, weiß ich nicht.«
Sie schwiegen lange.
»Ich möchte sie adoptieren«, sagte Julia schließlich. »Alice muss wissen, dass sie zu jemandem gehört, auch wenn sie das noch nicht ganz versteht. Und ich brauche sie.«
»Und was, wenn jemand auftaucht und sie für sich beansprucht?«
»Dann brauche ich meine Schwester, richtig?«, antwortete Julia leise.
Ellie spürte einen Kloß im Hals. In diesem Moment wurde ihr klar, was sie alles versäumt hatte, als sie und Julia getrennte Wege gegangen waren, und wie wichtig es für sie war, dass sie wieder zusammengefunden hatten. »Du kannst dich auf mich verlassen.«
* * *
»Alice, du passt gar nicht richtig auf. Wir spielen jetzt mit den Klötzen.«
Das kleine Mädchen schüttelte den Kopf und reckte trotzig das Kinn vor. »Nein. Schöön.« Damit sprang sie vom Stuhl auf und rannte zum Weihnachtsbaum hinüber. Die Ornamente faszinierten sie alle, aber am wichtigsten waren die roten.
Julia konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. So war es nun schon, seit sie den Baum aufgestellt hatten. Sie mussten am Wohnzimmertisch arbeiten, damit Alice den Baumschmuck wenigstens sehen konnte. »Komm schon, Alice. Noch fünf Minuten mit den Klötzen. Dann hab ich eine Überraschung für dich.«
Sofort wandte Alice sich ihr zu. »Raschung?«
Julia nickte. »Aber erst die Klötze.«
Mit einem tiefen Seufzer stapfte Alice zum Tisch zurück, wo sie sich auf ihren Stuhl fallen ließ und die Arme
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