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Wohin das Herz uns trägt

Wohin das Herz uns trägt

Titel: Wohin das Herz uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Hannah
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der Tag dämmerte hell und klar herauf, der Himmel war eisblau, ohne die kleinste Wolke.
    Am Flussufer, wo der Boden wärmer war, stieg eine Schicht rosa Dunst auf, bis in die unteren Äste der Bäume, und verwandelte alles in seiner direkten Umgebung in verschwommene Unbestimmtheit. Es war leicht, sich vorzustellen, dass ein Zauber am Werk war, dass Feen und Geister und Tiere unterwegs waren, die sonst nirgendwo auf der Erde lebten.
    Wie gewohnt hatte Julia die ganze Zeit mit Alice verbracht, viel davon draußen im Garten.
    Doch nun bereitete sie das Mädchen auf den nächsten großen Schritt vor. Einen Ausflug in die Stadt.
    Bestimmt kein leichtes Unterfangen. Die erste Hürde war das Auto.
    »Stadt«, sagte Julia und sah auf Alice hinunter, die sich an sie schmiegte. »Erinnerst du dich an die Bilder in den Büchern? Ich möchte, dass wir in die Stadt gehen, dorthin, wo die anderen Menschen leben.«
    Alices Augen wurden groß. »Draußen?«, flüsterte sie zittrig.
    »Ich bleibe die ganze Zeit bei dir.«
    Aber Alice schüttelte den Kopf.
    Vorsichtig löste sich Julia aus Alices Umklammerung und nahm die kleinen Hände in ihre. Sie hätte Alice gern gefragt, ob sie ihr vertraute, aber Vertrauen war ein zu komplexes Konzept für ein Kind mit so begrenzten verbalen Fähigkeiten. »Ich weiß, dass du Angst hast, Schätzchen. Die Welt da draußen ist so groß, und du hast sie von ihrer schlimmsten Seite erlebt.« Sie legte die Hand auf Alices samtweiche, warme Wange. »Aber du kannst dich nicht immer hier bei mir und Ellie verstecken. Irgendwann musst du in die Welt hinausgehen.«
    »Bleib.«
    Gerade wollte Julia antworten, aber noch ehe das erste Wort heraus war, wurde das Gespräch von lautem Hupen unterbrochen.
    Alice strahlte. »Lellie!« Sie ließ Julias Hand los und rannte zum Fenster an der Haustür. Die Hunde folgten ihr, bellten und stolperten in der Eile übereinander. Elwood warf Alice um, und ihr vergnügtes Kichern drang aus dem Chaos der Körper, die sich auf dem Fußboden wälzten. Jake leckte Alices Wange und stupste sie mit der Schnauze.
    Die Haustür ging auf, und da stand Ellie, grinsend, einen Tannenbaum im Schlepptau.
    Die nächste Stunde bemühten sich Julia und Ellie, den Baum einigermaßen gerade aufzustellen. Als sie es endlich geschafft hatten, waren beide in Schweiß gebadet.
    »Kein Wunder, dass Daddy sich immer ordentlich einen hinter die Binde gießen musste, bevor er sich mit dem Baum rumgeschlagen hat«, meinte Ellie, während sie ihr Werk begutachtete.
    »Er wird einfach nicht hundertprozentig gerade«, stellte Julia resigniert fest.
    »Sind wir vielleicht NASA-Ingenieure? Er ist gerade genug, finde ich.«
    Da die Hunde spürten, dass Ellie ihre Arbeit erledigt hatte, stürzten sie sich auf sie.
    »Aus, Jungs! Aus!«, rief Ellie, kurz bevor sie mit ihr zusammenstießen und sie umwarfen.
    Alice kicherte und legte sich schnell die Hand auf den Mund. Mit der anderen deutete sie auf Ellie und sah Julia an.
    »Deine Lellie muss ihre Tiere besser in den Griff bekommen«, sagte Julia mit einem sarkastischen Grinsen.
    Ellie befreite sich aus dem Getümmel und strich sich lachend die Haare aus den Augen. »Ich hätte sie erziehen müssen, als sie noch Welpen waren, das stimmt.« Gelassen stieg sie über die Hunde und ging zur Treppe.
    »Wo willst du hin?«, rief Julia ihr nach.
    »Das wirst du gleich sehen!«
    Kurz darauf kam Ellie wieder herunter, auf dem Arm mehrere mit Weihnachtssternen verzierte Schachteln, die sie neben dem Tannenbaum auf den Boden stellte.
    Julia erkannte die Kisten sofort. »Unser alter Weihnachtsschmuck?«
    »Ja, und zwar vollständig.«
    Julia kam näher. Vorsichtig hob sie den Deckel von der ersten Schachtel - sie war bis obenhin voll mit Lichterketten, allesamt mit weißen Birnchen, denn Mom hatte immer gesagt, das sei die Farbe der Engel und der Hoffnung. Zusammen mit Ellie legte sie die Ketten so um den Baum, wie man es ihnen beigebracht hatte. Es war das erste Mal seit der Highschool, dass sie gemeinsam einen Weihnachtsbaum schmückten.
    Als die Lichter an Ort und Stelle und das Kabel angeschlossen war, knipste Ellie den Schalter an.
    Alice schnappte nach Luft.
    »Meinst du, sie hat noch nie einen Weihnachtsbaum gesehen?«, fragte Ellie leise.
    Julia schüttelte den Kopf. Sie ging zu der Schachtel, fischte einen glänzenden roten Pappmacheapfel heraus und ließ ihn an seinem dünnen Goldfaden von ihrem Finger baumeln. Dann ging sie zu Alice und hielt ihn ihr hin.

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