Wohin das Herz uns trägt
sie zu lächeln. »Du hast ziemlich lange gebraucht.«
* * *
Als Mädchen wach wird, geht sie zum Fenster und starrt in den Garten hinaus. Garten. Sie liebt diese neuen Wörter, vor allem, wenn sie mein davorsetzt. Dieses Wort bedeutet nämlich, dass etwas ihr gehört.
In ihrem Garten sind jetzt viele viele Vögel, wenn auch noch nicht so viele, wie kommen werden, wenn der Schnee weg ist und die Sonne wieder wärmer scheint. Dort unten, auf dem schmelzenden Schnee, ist eine rosarote Blume.
Vielleicht sollte Mädchen sie reinholen. Dann würde Dschulie lächeln, vielleicht, und Mädchen wünscht sich, dass Dschulie wieder öfter lächelt.
Sie versucht nicht daran zu denken, aber es ist zu spät. Sie erinnert sich an gestern Abend, als Dschulie Mädchen so eng an sich gedrückt hat, dass Mädchen sie wegschieben musste ..., und wie viel Wasser deswegen aus Dschulies Augen gekommen ist.
In letzter Zeit kommt dauernd Wasser aus Dschulies Augen. Das ist schlecht. Mädchen weiß es. Obwohl es lange her zu sein scheint, dass Mädchen im tiefen Wald war, denkt sie manchmal an Ihn. Und an Sie.
Aus Ihren Augen kam immer mehr Wasser ..., und dann war Sie eines Tages TOT.
Die Erinnerung daran macht ihr Angst. Früher hätte Mädchen jetzt heulen können, ihre Freunde im tiefen Wald herbeirufen.
Benutz deine Wörter.
Das ist es, was sie jetzt tun muss. Wörter benutzen ist gut und macht Dschulie froh, aber welche Wörter? Und wie kann sie sie zusammensetzen? Wie kann sie Dschulie sagen, wie es sich anfühlt, wenn man nicht friert... und keine Angst hat? Vielleicht sollte sie Dschulie heute Abend ganz besonders fest halten und sie auf die Wange küssen. Mädchen liebt es, wenn Dschulie das bei ihr tut, bevor sie schlafen geht. Es ist wie ein bisschen Zauber, der macht, dass Mädchen von schönen Dingen in ihrem Garten träumt, statt so zu schlafen wie früher in ihrer Höhle, eiskalt und ganz allein.
Sie hört, wie die Tür auf- und wieder zugeht. Sie hört Schritte.
»Du stehst schon sehr lange am Fenster, Alice. Was siehst du da draußen?«
Ist das böse? Hier gibt es so viele Regeln. Manchmal kann sie sich nicht alle merken.
Sie dreht sich zu Dschulie um, die aussieht wie eine Prinzessin aus einem der Bücher, die sie lesen. Aber Mädchen kann trotzdem die Wasserspuren auf Dschulies Wangen sehen, und das macht sie innen ganz traurig, wie den kleinen Hasen, der in der Geschichte von seinem Jungen vergessen worden ist. »Böse?«, fragt sie. »Nich Fenster stehn?«
Dschulie lächelt, und auf einmal ist Mädchen wieder froh. »Du kannst den ganzen Tag dort stehen, wenn du magst.« Sie geht zu dem Bett, in dem sie schläft, und setzt sich hin, streckt die Beine auf der Decke aus.
»Buchzeit?«, fragt Mädchen hoffnungsvoll und greift nach der Geschichte von gestern Abend. Sie rennt zu Dschulies Bett. »Zähne erst?«, sagt sie, stolz, dass sie sich daran erinnert hat. Es ist schwer, an solche Dinge zu denken, wenn Geschichtenzeit ist.
»Und Schlafanzug.«
Mädchen nickt. Sie kann das alles - aufs Klo gehen, sich die Zähne putzen und den rosa Schlafanzug mit den steifen weißen Füßen anziehen. Dann ist sie wieder auf dem Bett neben Dschulie, eng an sie gekuschelt.
Dschulie zieht sie zur Seite, setzt Mädchen auf ihren Schoß, sodass ihre Nase dicht an Mädchens Nase ist. Mädchen kichert und wartet auf einen Kuss.
Aber Dschulie küsst sie nicht. Sie lächelt auch nicht. Stattdessen sagt sie ganz leise: »Brittany.«
Das Wort trifft Mädchen wie ein Donnerschlag. Das hat Er immer gesagt, wenn er gemein und wacklig war von dem Zeug, das Er getrunken hat. Was meint Dschulie denn damit? Mädchen spürt, wie Panik in ihr aufsteigt. Sie kratzt sich über die Wange und schüttelt den Kopf.
Dschulie hält Mädchens Hände in ihren und sagt das Wort noch einmal. »Brittany.«
Diesmal hört Mädchen die Frage in dem Wort. Dschulie möchte etwas von ihr wissen.
»Bist du Brittany?«
Waren die anderen Wörter die ganze Zeit über da, übertönt von Mädchens Herzschlag?
Bist du Brittany?
Brittany.
Die Frage ist wie ein Fisch, der flussabwärts schwimmt. Sie packt seinen Schwanz und lässt sich von ihm voranziehen. Ein Bild taucht auf, von einem kleinen Mädchen - winzig mit kurzen schwarzen Locken und einer riesigen weißen Unterhose aus Plastik. Dieses Baby lebt in einer weißen Welt, überall Licht und weicher Fußboden. Es spielt mit einem leuchtend roten Ball. Jemand holt ihn immer für es zurück, wenn es ihn
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