Wohin das Herz uns trägt
Pranke verschwand und wie sicher sie sich gefühlt hatte, wie geborgen.
Auf einmal hörte sie Schritte hinter sich.
»Hallo«, sagte Ellie und trat zu ihr. »Du bist aber schon früh unterwegs.« Sie drückte Julia einen Becher Kaffee in die Hand.
»Ich konnte nicht schlafen.« Sie nahm den Becher und legte die Finger um das warme Porzellan.
Schweigend blickten sie über die silbern glänzende Wiese zum schwarzen Waldrand hinüber. Im Morgennebel blinkten die Lichter in Cals Haus golden zu ihnen herüber.
»Er bekommt das Sorgerecht, Jules.«
»Ich weiß.« Julia starrte zum Fluss hinunter, der in der rosa Dämmerung schimmerte.
»Wir müssen beweisen , dass er schuldig ist.« Sie hielt inne. »Oder unschuldig.«
»Du siehst zu viel CSI. Der Staat hat Millionen in den Fall gesteckt und konnte trotzdem nichts beweisen.«
»Aber wir haben Alice.«
Eine Gänsehaut lief Julia über den Rücken. Langsam drehte sie sich zu ihrer Schwester um. »Sie erinnert sich an nichts. Oder sie kann es uns jedenfalls nicht sagen.«
»Vielleicht könnte sie uns dorthin führen, wo sie gefangen gehalten worden ist.« Führ uns zurück.
»Du meinst ... Mein Gott, Ellie, kannst du dir vorstellen, welche Folgen das für sie haben könnte?«
»Möglicherweise finden wir dort aber die Beweise, die wir brauchen.«
»Aber ... vielleicht würde Alice den Stress nicht aushalten. Sich wieder in sich selbst zurückziehen. Wie könnte ich damit leben?«
»Und was würde erst mit ihr passieren, wenn Azelle sie mitnimmt? Wird sie je verstehen, dass du sie nicht im Stich gelassen hast?«
Julia schloss die Augen. Genau dieses Bild war es, was sie verfolgte. Wenn Alice sich erneut verlassen fühlte, würde sie womöglich überhaupt nie wieder ein Wort sagen und sich für immer in die Welt des Schweigens zurückziehen.
»Ich hab alles durchdacht, aus jedem Blickwinkel. Ich war die ganze Nacht auf. Das ist mein Job, Jules. Wenn wir die Wahrheit herausfinden wollen, ist das unsere einzige Hoffnung.«
Julia verschränkte die Arme, als könnte sie sich damit schützen. Dann ging sie mit ihrer Schwester zurück zum Haus. Ellie verstand offenbar die Tragweite ihres Vorschlags nicht. Sie wusste nicht, wie zerbrechlich Kinder waren, wie schnell sich die Dinge ins Tragische verkehrten.
Aber Julia wusste es. In Silverwood hatte sie es am eigenen Leib erfahren.
»Jules?«
»Ich glaube, ich würde es nicht überleben, wenn Alice ... sich wieder von der Welt abschottet.«
»Viele Wege führen nach Rom«, sagte Ellie ruhig.
Julia drehte sich zu ihr um. »Was meinst du damit?«
»Ganz gleich was wir tun oder wie wir es tun - Alice wird darunter leiden. Kein Kind sollte ohne seinen Vater aufwachsen, aber dich zu verlieren wäre schlimmer. Du musst deinem Instinkt trauen. Wir müssen rausfinden, was passiert ist.«
Darauf gab es keine Antwort. Ellie legte den Arm um Julia und zog sie an sich.
»Komm«, sagte sie schließlich, »gehen wir rein und machen Frühstück.«
* * *
Max stieg gerade aus der Dusche, als er die Türklingel hörte. Schnell rubbelte er sich ab, schlüpfte in eine alte Jeans und ging hinunter. »Ich komme!«
Er öffnete die Tür.
Da stand Julia, und er konnte sehen, wie sehr sie sich um ein Lächeln bemühte. »Ellie möchte mit Alice in den Wald gehen, um zu sehen, ob ...« Ihre Stimme schwankte. »... ob sie die Stelle findet...«
Er zog sie an sich und hielt sie fest, bis sie aufhörte zu zittern. Dann führte er sie ins Wohnzimmer. Auf dem Sofa nahm er sie erneut in die Arme.
»Was soll ich tun?«
Er berührte sanft ihr Gesicht. »Du kennst die Antwort darauf. Deshalb hast du geweint.« Er wischte ihr die Tränen von den Wangen.
»Möglicherweise fällt sie zurück. Oder noch schlimmer.«
»Und was macht sie, wenn Azelle das Sorgerecht bekommt?«
Sie setzte an, etwas zu sagen, unterbrach sich aber und holte nur tief Luft.
Eine Weile schwiegen sie beide. Schließlich sagte Max: »Jetzt braucht sie ihre Mutter, nicht ihre Therapeutin.«
Julia sah zu ihm auf. »Woher weißt du eigentlich immer, was du zu mir sagen musst?«
Er versuchte den Blick abzuwenden, konnte es aber nicht. Ganz langsam löste er sich von ihr und ging nach oben. Auf der Kommode fand er, wonach er suchte: ein gerahmtes Bild von einem kleinen Jungen in einem Baseballtrikot, der in die Kamera lächelte und eine große Zahnlücke entblößte. Max nahm das Bild mit nach unten und setzte sich wieder zu Julia auf die Couch.
Erschrocken richtete
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