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Wohin das Herz uns trägt

Wohin das Herz uns trägt

Titel: Wohin das Herz uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Hannah
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alles wirkte seltsam verwässert und unscharf.
    Das Familiengericht befand sich im Erdgeschoss ganz am Ende des Korridors. Von allen Gerichtshöfen, mit denen Julia bisher zu tun gehabt hatte, war ihr das Familiengericht der unangenehmste. Hier wurden Tag für Tag Herzen gebrochen.
    Sie blieb stehen, strich ihr dunkelblaues Kostüm glatt, öffnete dann die Tür und betrat den Saal. Ihre Absätze klackten auf dem Marmorboden; Ellie ging neben ihr her und machte in ihrer Uniform mit den goldenen Sternen einen überaus selbstbewussten Eindruck. Sie kamen an Max und Peanut vorbei, die in der hintersten Saalreihe Platz genommen hatten.
    George Azelle wartete bereits auf seinem Platz ganz vorn, neben ihm sein Anwalt.
    Als Azelle Ellie und Julia kommen sah, stand er auf und ging auf sie zu. Er trug einen anthrazitfarbenen Anzug und ein makelloses weißes Hemd. Seine Haare waren zu einem i ordentlichen Pferdeschwanz zusammengebunden. »Guten Tag, Dr. Cates. Guten Tag, Chief Barton.«
    »Guten Tag, Mr Azelle«, antwortete Ellie förmlich.
    In diesem Moment wurden hinter ihnen die Türen aufgerissen und Julias Anwalt John MacDonald hastete in den Saal, in der Hand eine Aktentasche aus abgewetztem Kunstleder. Er sah müde aus, was kein Wunder war, da sie ja alle bis vier Uhr aufgewesen waren. »Bitte entschuldigen Sie die Verspätung.«
    Aufmerksam musterte Azelle den gegnerischen Anwalt, wobei ihm zweifellos weder Johns brauner Cordsamtanzug noch sein unmodernes grünes Hemd entging. »Ich bin George Azelle«, sagte er und streckte die Hand aus.
    »Oh. Hallo«, erwiderte John nur und führte Julia und Ellie unbeirrt an ihren Tisch.
    Die Richterin betrat den Saal, nahm am Pult Platz und betrachtete die Anwesenden. Dann kam sie ohne Umschweife zur Sache: »Ich habe Ihren Antrag gelesen, Mr Azelle. Wie Sie wissen, war Dr. Cates fast vier Monate temporäre Pflegemutter Ihrer Tochter und hat vor kurzem das Adoptionsverfahren eingeleitet.«
    »Zu diesem Zeitpunkt war die Identität des Kindes noch nicht geklärt, Euer Ehren«, sagte Azelles Anwalt.
    »Ich bin mir über den zeitlichen Ablauf durchaus im Klaren, und ich kenne auch die Vorgeschichte des Falls. Die Frage an dieses Gericht ist die Unterbringung des minderjährigen Kindes. Der Staat Washington unterstützt soweit möglich die Wiedervereinigung der biologischen Familien, doch hier liegen alles andere als gewöhnliche familiäre Bedingungen vor.«
    »Mr Azelle hat in der Vergangenheit eine Neigung zu häuslicher Gewalt gezeigt, Euer Ehren«, gab John zu bedenken, »Einspruch!« Azelles Anwalt sprang auf.
    »Setzen Sie sich, Herr Anwalt. Ich weiß, dass Ihr Klient nie deswegen vor Gericht gestanden hat.« Die Richterin nahm die Lesebrille ab und legte sie vor sich auf den Richtertisch. Dann sah sie Julia an. »Der weiße Elefant in diesem Gerichtssaal sind Sie, Dr. Cates. Sie sind keine gewöhnliche Pflegemutter, die um das permanente Sorgerecht für ein Kind ersucht. Sie gehören zu den bekanntesten Kinderpsychologen in diesem Land.«
    »Ich bin hier nicht in dieser Funktion zugegen, Euer Ehren.«
    »Das weiß ich, Miss Cates. Das würde auch einen Interessenkonflikt darstellen. Sie sind hier, weil Sie Ihren Adoptionsantrag nicht zurückziehen wollen.«
    John machte Anstalten aufzustehen, aber Julia hielt ihn zurück. Niemand konnte besser für Alice einstehen als sie selbst. Sie sah der Richterin fest in die Augen und begann: »In jedem anderen Fall, Euer Ehren, hätte ich mich zurückgezogen, wenn ein Familienmitglied aufgetaucht wäre. Aber ich habe die Akten zum Fall Azelle durchgelesen und bin zutiefst besorgt um die Sicherheit des Kindes. Der Leichnam der Mutter wurde nie gefunden, und es gibt keinen Beweis, dass Mr Azelle unschuldig ist. Zwar behauptet er das, aber meiner Erfahrung nach tun das die meisten Schuldigen. Ich möchte einfach das Beste für dieses arme Kind, das schon so viel durchmachen musste. Wie Sie meinem Bericht entnehmen können, ist sie schwer traumatisiert. Bis vor kurzem war sie vollständig stumm. Ich mache Fortschritte mit ihr, weil sie mir vertraut. Das Kind jetzt aus meiner Obhut zu nehmen würde irreparable Schäden nach sich ziehen.«
    »Kommen Sie, Euer Ehren«, warf Azelles Anwalt ein. »Die Frau ist Psychologin. Mein Klient kann es sich jederzeit leisten, einen Ersatz für sie einzustellen. Er war schon so lange von seiner Tochter getrennt. Die Gerechtigkeit verlangt, dass er umgehend das Sorgerecht bekommt.«
    Die Richterin setzte die

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