Wohin der Wind uns trägt
sie beobachtete.
»Ich habe keine Ahnung, wie sie das anstellt«, raunte er Willie zu, der neben ihm stand. »Vor zwei Tagen konnte sich nicht einmal der Tierarzt an das Pferd heranwagen, geschweige denn ein kleines Mädchen. Und jetzt frisst ihr der Gaul aus der Hand. Er riecht zwar wie ein Blumenladen, aber die Verletzung heilt schneller, als ich es je für möglich gehalten hätte.«
Ärgerlich runzelte Kurt die Stirn. Es wurmte ihn, dass es ihm nicht gelang, Jo ihr Geheimnis zu entlocken.
»Wenn du mich fragst, hätte sich das Problem so oder so gegeben«, brummte Willie.
Ihm war es gar nicht recht, dass Jo sich an dem Pferd zu schaffen machte, doch seine Kritik hatte ihm vorhin einen Rüffel von Kurt eingebracht.
»Kann sein«, antwortete Kurt zweifelnd.
Seine Miene verfinsterte sich noch mehr, als Jo aus der Box kam, sich die Hände abwischte und den Riegel vorschob. Sie marschierte, ihren Eimer schwenkend und mit federnden Schritten, in die Sattelkammer.
»Sie ist wie ihr Vater«, fuhr Kurt fort und schob die Hände tiefer in die Jackentaschen. »Der macht auch solche Sachen, aber man kriegt nie richtig mit, was eigentlich gespielt wird. Es funktioniert wie Gedankenübertragung. Als würde er dem Pferd etwas erzählen, ohne dabei zu sprechen. Mich macht das ganz nervös. Aber ich werde schon herausfinden, was dahintersteckt.«
Es blieb bei diesem frommen Wunsch. Doch zumindest verhinderte Kurt Jos Besuche bei Outsider nicht, und seine Stimmung besserte sich vorübergehend, als das Pferd tatsächlich in Doncaster starten konnte, Zweiter wurde und ein beträchtliches Preisgeld für das Gestüt gewann.
Jo, die Outsider auf Kurts Betreiben hin während der Reise betreute, vergoss Freudentränen. Die Menge jubelte ihm zu, und sie wurde Zeugin, wie er unter Willie Carstairs eine Nasenlänge hinter Lester Piggott auf Blood Royal ins Ziel kam.
Eine Woche später in Newmarket – Jo suchte gerade unter ihrer Koje in dem gewaltigen Reisetransporter der Comptons nach einem sauberen Paar Socken – hörte sie wider Willen mit, wie Kurt Willie Carstairs befahl, sein Pferd im dritten Rennen zurückzuhalten. Von einem Missverständnis überzeugt, wandte sie den Blick nicht von Nummer sechzehn ab, als der Startschuss zum dritten Rennen fiel. Willie musste sich eigentlich sicher platzieren, wurde aber nur Fünfter.
Zurück in Stockenham Park, sprach Jo mit John über diesen Zwischenfall.
»Das wundert mich nicht. Es wäre nicht das erste Mal. Der Sieger hatte eine ziemlich gute Wettquote«, antwortete John achselzuckend. »Aber das hast du nicht von mir«, fügte er rasch hinzu.
»Bist du sicher? Ich meine, Kurt wird doch nicht … Ich weiß, dass so etwas manchmal vorkommt, aber …« Jo stand der Schrecken ins Gesicht geschrieben.
»Für jemanden, der den Großteil seines Lebens in Rennställen verbracht hat, bist du ziemlich naiv, Jo«, entgegnete John. Da Jo nichts mehr aus ihm herausbekam, verabschiedete sie sich. Allerdings war sie noch nicht überzeugt. Schließlich hatte jedes Rennpferd einen schlechten Tag. Solche Machenschaften konnte sich ein hochkarätiger Rennstall gar nicht leisten. Und aus welchem Grund sollte jemand freiwillig verlieren?
Am nächsten Tag war der Vorfall vergessen. Kurt verkündete, dass Outsider in Ascot starten sollte. Jo würde für ihn verantwortlich sein, auf der Fahrt zur Rennbahn und zurück für sein Wohlergehen sorgen und ihn zwischen den Rennen betreuen.
Jos Aufregung wuchs, je näher der Juni rückte. Inzwischen hatte Outsider sich vollständig von seiner Verletzung erholt und brachte großartige Leistungen. Jo liebte das große, tapfere Pferd und verbrachte so viel Zeit wie möglich mit ihm. Außerdem begeisterte sie die Vorstellung, zum ersten Mal beim Royal Ascot Pferderennen, dem wichtigsten britischen Rennereignis, dabei zu sein.
Endlich war der große Tag da. Ehrfürchtig lauschte Jo von den Ställen aus dem Jubel der Menge beim Eintreffen der königlichen Familie im Stadion. Die Queen, die ein leuchtend gelbes Kleid mit einem passenden breitkrempigen Blumenhut trug, winkte den Zuschauern aus der von den berühmten Windsor-Grauschimmeln gezogenen Kutsche zu, die sie zur königlichen Loge brachte. An ihrer Seite saß Prinz Philip. Die Zuschauertribünen waren brechend voll. Die Frauen trugen Kleider nach der neuesten Mode und balancierten gewagte Hutkreationen auf den Köpfen. Die Männer wirkten in Gehrock und Zylinder nicht minder elegant. Die makellos
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