Wohin der Wind uns trägt
Fehlen nicht entgangen, und er marschierte mit finsterer Miene auf sie zu.
»Es tut mir schrecklich leid«, murmelte Jo und senkte den Blick. »Mein Wecker hat nicht geklingelt.«
Die Pferde tänzelten unruhig hin und her, und die Luft knisterte vor Spannung.
»Wenn du weiter hier arbeiten willst, kommst du gefälligst pünktlich. Das ist kein Freizeitvergnügen«, brüllte Kurt.
Die Bahnarbeit war katastrophal verlaufen. Kurz zuvor hatte es geregnet, und der Matsch machte die Reitwege tief und schlammig. Außerdem sorgte der heftige warme Wind dafür, dass Pferde und Menschen nervös waren.
»Haltet das Pferd fest!«, schrie Kurt auf einmal. Eines der Tiere hatte sich losgerissen.
Zu spät sprang Jo auf den Wallach zu, konnte ihn nicht mehr bremsen, und das Pferd zog sich an einer Stalltür eine Abschürfung zu. Dieses wiederum brachte ihr eine Schimpftirade von Kurt ein. Empört über seine unberechtigten Vorwürfe und gleichzeitig voller Angst vor dem Rausschmiss, führte Jo das Pferd zurück in seine Box und nahm ihm den Sattel ab. Mit Wut im Herzen behandelte sie die Wunde mit Salbe. Ihr Ärger über Kurts Anschuldigungen hatte sich noch immer nicht gelegt, als sie anschließend nach einer jungen Stute sah, die sich am Wochenende erkältet hatte. Jo stellte fest, dass das Futter des Tiers unberührt war. Das normalerweise vorwitzige Pferd stand mit gesenktem Kopf und stumpfem Blick da. Sanft streichelte Jo die Stute, deren offensichtliche Niedergeschlagenheit ihr gar nicht gefiel. Ausgerechnet in diesem Moment blickte Kurt über die Stalltür und glaubte, er habe Jo schon wieder beim Nichtstun ertappt. Außerdem nahm er an, dass sie im Begriff war, einen ihrer Zaubertricks anzuwenden, und erschreckte das Pferd, indem er hereingestürmt kam und eine Erklärung verlangte.
»Ich denke, das Pferd sollte morgen nicht starten«, erwiderte Jo besorgt.
Sie beobachtete die Stute schon seit einigen Tagen. Doch da John nicht da war, verließ sich der Tierarzt auf die Auskünfte der Stallburschen und hatte das kranke Tier offenbar übersehen.
»Wenn der Tierarzt zufrieden ist, bin ich es auch«, gab Kurt barsch zurück.
»Meiner Ansicht nach ist sie nicht reisefähig«, beharrte Jo.
Mit dreizehn hatte sie in Dublin Park etwas Ähnliches erlebt. Diese Stute war eindeutig nicht gesund. Deshalb fand Jo es absolut überflüssig, sie noch mehr unter Stress zu setzen. Schließlich gab es in Stockenham Park genug andere Pferde mit guten Siegeschancen.
»Ich lasse mir von dir nicht vorschreiben, wie ich diesen Reitstall leiten soll. Anderenfalls werde ich dafür sorgen, dass du bald nicht mehr hier arbeitest«, bellte Kurt nach einem kurzen Blick auf das Pferd.
»Könntest du nicht wenigstens den Tierarzt bitten, es sich noch einmal anzusehen?«, flehte Jo.
Kurt lief puterrot an. Jos Zweifel an seiner Autorität brachten ihn in Rage. Sein Gesicht näherte sich bedrohlich dem ihren, und seine schmalen Augen glitzerten gefährlich.
»Lass dir eines gesagt sein, mein Kind. Ich leite diesen Rennstall, und ich will, dass dieses Pferd morgen startet«, schrie er, machte kehrt und stürmte davon.
»Ich traue der kleinen Kingsford nicht über den Weg«, raunte er Willie beim Mittagessen im Pub zu. »Wenn du mich fragst, führt sie uns an der Nase herum. Wir erfahren nichts von ihr. Aber sie nimmt das, was sie bei uns lernt, in den nächsten Rennstall mit – oder noch schlimmer, nach Australien, wo der gottverdammte Charlie Kingsford davon profitiert. Sie muss weg, Willie, aber ein einziger Fehler reicht nicht, um sie hinauszuwerfen.« – »Sie wird schon einen zweiten machen, das tun sie immer«, erwiderte Willie gelassen.
»Vielleicht sollte ich ein bisschen nachhelfen«, knurrte Kurt. Diese Kingsfords hatten etwas an sich, das ihn in Wut versetzte und ihn jede Vernunft über Bord werfen ließ. Mit Charlie war es nach all den Jahren dasselbe gewesen. Zum Teufel mit dieser Familie. Aber er würde es ihnen heimzahlen.
»Warum hast du mich nicht aus dem Bett geholt? Ich dachte, wir hätten ausgemacht, uns gegenseitig zu wecken, damit niemand verschläft«, wollte Jo in einer ruhigen Minute von Faith wissen, als sie durch den Fluss hinter dem Dörfchen Stockenham ritten.
»Ich dachte, du wärst wach«, entgegnete das Mädchen mürrisch und lenkte ihr Pferd aus dem Wasser.
»Habe ich dir etwas getan?«, fragte Jo, erstaunt über Faith’ unfreundlichen Ton.
Wortlos band Faith ihr Pferd an einem Pfosten fest. Seit Jo
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