Wohin der Wind uns trägt
geliebtes Norfolk zu zeigen. Sie brausten durch die flache Landschaft und vorbei an alten Kirchen. Jo bewunderte die hübschen Steinhäuschen mit ihren winzigen Gärten und den niedrigen grauen und weißen Steinmauern, die in der Sonne leuchteten. Da es im Inneren des Sportwagens ziemlich eng war, stieß Jo immer wieder gegen Simons Arm und erschauderte jedes Mal angenehm. In etwas langsamerem Tempo passierten sie einen Dorfanger und bogen dann in eine schmale Landstraße ein. Plötzlich hielt Simon an. Jo sah ihn erstaunt an, aber er nahm sie einfach in die Arme und küsste sie hingebungsvoll.
»Viel besser«, verkündete er, legte den Arm um sie und fuhr weiter.
»Hmmmm«, schnurrte Jo, schmiegte sich an ihn und musterte ihn durch halb geschlossene Wimpern.
Zum wohl tausendsten Mal machte sein Herz einen Satz, und er hatte Schwierigkeiten, sich auf die Straße zu konzentrieren. Immer, wenn er sie ansah, hätte er am liebsten angehalten, um sie zu küssen.
Jo musste sich kneifen, um sicherzugehen, dass sie nicht träumte, während Simon sie in der nächsten Stunde vergnügt plaudernd auf Sehenswürdigkeiten hinwies und ihr Anekdoten aus der Umgebung erzählte. Frische Landluft wehte zum Autofenster herein. Einige der historischen Stätten stammten aus der Steinzeit. Sie machten einen Umweg zur berühmten Windmühle von Burnham mit ihren großen flachen Flügeln, die man kilometerweit sehen konnte, und gelangten über Burnham Market schließlich nach Burnham Overy Staithe. Simon parkte den Wagen auf einem bei Ebbe nur feuchten Stück Kiesstrand, der als »Staithe« bekannt war, schaltete den Motor ab und zog die Handbremse an. Sofort waren sie von friedlicher Stille umgeben.
»Da sind wir. Mein Lieblingsplatz. Ich hänge an diesem Ort, seit ich fünf bin, und immer wenn etwas Wichtiges in meinem Leben passiert, komme ich hierher.« Simon stieg aus und hielt Jo die Wagentür auf.
Ehrfürchtig betrachtete Jo die riesigen Marschen, hinter denen sich die Nordsee erstreckte. Frischer Salzgeruch stach ihr in die Nase, und die Schreie von Meeresvögeln zerrissen die Stille. Von dem hübschen kleinen Hafen schlängelte sich ein kleiner Fluss Richtung Meer, und auf der von Steinen übersäten Wattlandschaft sah man kleine Segelboote, die mit schief stehenden Masten auf dem Trockenen liegen geblieben waren. Überall schimmerten die lila Blüten des hier heimischen Lavendels.
»Es ist so einsam und wunderschön«, seufzte Jo, hielt sich schützend die Hand vor Augen und blickte in die Ferne. »Was ist das da drüben für ein grünlicher Hügel?«
»Das ist Scolte Head, eine wandernde Insel, die sich mit den Bewegungen von Schlamm und Sand verändert. Es gibt dort eine reizende kleine Bucht, wo ich im Sommer mit dir zum Schwimmen hingehen werde.«
Jo konnte einen winzigen Sandstrand erkennen.
»Abhängig von den Gezeiten kann man auf dem Damm zur Insel hinüberlaufen. Außerdem gibt es einen alten Fischer namens Jimmy, der Ausflügler bei Flut mit dem Boot hinbringt. Aber bis dahin sind noch einige Stunden Zeit. Wir haben den ganzen Tag vor uns.«
Seine Stimme klang plötzlich belegt. Sanft zog er Jo in die Arme und küsste sie.
»Haben wir genug Zeit?«, fragte Jo bemüht ruhig, als sie sich endlich voneinander lösten.
»Zeit wofür?«, wollte Simon wissen. Ihm drehte sich der Kopf.
»Um zur Insel zu gehen.«
»Ich würde sagen, dass wir es schaffen müssten, bevor die Flut kommt«, erwiderte Simon nach einem raschen Blick auf die Uhr. »Was für ein wunderschöner Tag. Ich gehe nachsehen, wann die Gezeiten wechseln.«
Er lief zu dem großen Schild hinüber, das an einem kleinen schwarzweißen Bootsschuppen hing.
Jo schlenderte zum Ufer und atmete die frische Meeresluft ein. Simon hatte recht. Es war ein wunderschöner Tag. Sie zog die Schuhe aus, nahm sie in die Hand und steckte vorsichtig den Zeh in eine Wasserlache. Das Wasser war zwar eiskalt, aber erträglich. Bei den ersten Schritten schnappte sie nach Luft, doch dann genoss sie das Gefühl, wie ihr der Schlamm zwischen den Zehen hindurchquoll. Neben ihr schwankten blaugrüner Seespargel und Meeresdisteln im Gleichtakt mit dem Lavendel im Wind. An der Mündung des Flusses verrottete ein altes hölzernes Ruderboot im Schlamm. Jo bückte sich, um die harten, trockenen Blüten zu betasten.
»Den halben Weg könnten wir schaffen«, verkündete Simon, als er vom Bootsschuppen zurückkehrte. »Wir müssen nur diesen Flusslauf überqueren. Der Damm dahinter
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