Wohin der Wind uns trägt
Aber nichts konnte ihre Hochstimmung dämpfen.
Auf der holperigen Fahrt zur Huggins-Farm, wo sie für Neddy ein Pferd abholen sollte, das sonst beim Schlachter gelandet wäre, pfiff sie vergnügt vor sich hin. Und auch auf dem Heimweg, den sie im Schneckentempo hinter einem gewaltigen Mähdrescher herzuckelnd zurücklegen musste, der fast die ganze Straßenbreite einnahm, dachte sie nur an Simon. Wohlige Schauer liefen ihr den Rücken hinunter, als sie sich an die Berührung seiner Lippen, den salzigen Geschmack seines Mundes und seine starken Arme erinnerte. Jeden Abend rief er sie an, und wenn sie seine Stimme hörte, wurde sie von einem unbeschreiblichen Glücksgefühl und einer tiefen Sehnsucht ergriffen. Sie fragte sich, wie sie die quälenden Tage und Nächte bis zu ihrem nächsten Wiedersehen überstehen sollte. Dann, am Freitagabend, hörte der Regen endlich auf, der Wind legte sich, und am Samstag herrschte wieder trockenes Wetter.
Den ganzen Samstag über zermürbte sich Jo mit der Sorge, dass Simon absagen könnte. Vielleicht hatte er eine Autopanne, eine Familienkrise brach aus oder ihm kam etwas Wichtiges dazwischen, sodass er ihre Verabredung vergaß. Sie führte sich vor Augen, dass sie sich albern benahm und kein Mann diese Grübeleien wert war, doch sie wurde nur noch nervöser. Nachts wälzte sie sich schlaflos herum und wachte jede Stunde auf wie ein Kind, das das Weihnachtsfest nicht erwarten kann. Schließlich hielt sie es nicht mehr aus.
Ungeduldig schleuderte sie die Bettdecke beiseite, obwohl die Sonne noch nicht aufgegangen war. Und dabei war der Sonntag eine der seltenen Gelegenheiten für sie, endlich einmal auszuschlafen. Sie zog sich an, putzte ihr Zimmer, wusch sich die Haare und war Stunden vor Simons Ankunft abfahrbereit. Die Sonne schien durch das winzige Fenster herein, und die Luft war frisch, als sie, mit Windjacke und Kamera ausgerüstet, vor die Tür trat. Der Wind trug den Geruch von verbranntem Holz mit sich. Es würde ein milder Herbsttag werden.
»Wehe, wenn Sie mit diesem feinen Pinkel durchbrennen, wo ich Sie hier so dringend brauche«, neckte Neddy, der gerade einen Futtersack zu den Ställen schleppte und Jos strahlende Miene sah. Sie legte ihre Sachen ordentlich auf die alte Holzbank.
»Ach, Neddy, ich habe nicht vor durchzubrennen. Simon will mir nur die Gegend zeigen«, rief Jo aufgeregt.
Da sie zu unruhig war, um still zu sitzen, folgte sie Neddy in den Stall, redete pausenlos auf ihn ein, erbot sich, ihm bei der Arbeit zu helfen, und sah dabei alle fünf Sekunden auf die Uhr oder blickte zum Tor, um Ausschau nach Simon zu halten.
»Diesen Gesichtsausdruck hatte meine Frau auch, kurz bevor wir geheiratet haben. Gehen Sie mir aus dem Weg, damit ich in Ruhe arbeiten kann. Sie sind heute Morgen schlimmer als ein Sack Flöhe. So vergeht die Zeit auch nicht schneller«, stellte Neddy fest.
Jo errötete. In diesem Moment näherte sich Simons Wagen mit dröhnendem Motor und bog in die Auffahrt ein. Er umrundete eine Pfütze, hielt an und sprang aus dem Auto. Heute trug Simon eine alte grüne Kordhose, ein offenes Hemd und seinen Lieblingspulli. Sein dunkelbraunes Haar war vom Wind zerzaust, und ein Lächeln stand in seinem Gesicht. Jo schmolz bei seinem Anblick förmlich dahin.
»Guten Morgen, Sir.« Simon nickte Neddy zu. Dann drehte er sich rasch zu Jo um und musterte sie mit unverhohlener Bewunderung. »Wie kann jemand in einer ganz gewöhnlichen alten Jeans und einem Pulli so toll aussehen?«, fragte er begeistert.
»Die Jeans ist nicht alt«, protestierte Jo, lief rot an und griff nach Jacke und Kamera.
»Passen Sie bloß gut auf sie auf, junger Mann«, befahl Neddy mit einem argwöhnischen Blick auf Simon, der Jo gerade die Wagentür aufhielt. »Ich weiß nicht, was ich von diesem Herumschäkern halten soll. Schließlich gäbe es hier genug Arbeit.«
»Ich dachte, du hättest heute frei«, flüsterte Simon besorgt, während Jo auf dem Beifahrersitz Platz nahm.
»Richtig. Hör nicht auf Neddy, er schimpft eben gern«, erwiderte Jo quietschvergnügt und machte es sich bequem. Simon stieg ebenfalls ein.
»Warst du schon mal in Burnham Overy Staithe?«, fragte Simon mit einem Blick auf Jo während der Fahrt nach Fakenham.
Jo schüttelte den Kopf.
»Was gibt es da zu sehen?«, erkundigte sie sich angeregt. Sie wusste nur, dass sich die Ortschaft an der Küste befand.
»Schau es dir selbst an«, erwiderte Simon grinsend.
Er freute sich, ihr als Erster sein
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