Wohin der Wind uns trägt
dem Zimmer gescheucht hatte, setzte er sich in den großen Ohrensessel und legte seine Krücken auf den Boden.
»Vergiss, was deine Mutter gesagt hat«, begann er streng und musterte Bertie aus dunklen Augen. »Es ist an der Zeit, dass du erwachsen wirst, mein Sohn.«
Bertie sackte sichtlich in sich zusammen und wurde so blass, dass seine violetten und gelben Blutergüsse aus dem bleichen Gesicht herausstachen. Noch nie hatte sein Vater ihm eine solche Standpauke gehalten. Charlie hatte sich seine Worte sorgfältig zurechtgelegt, und dass er manchmal ins Stocken geriet, machte die Prozedur für Bertie nur umso quälender. Aber als sein Vater ihn mit Onkel Wayne verglich, konnte er nicht länger an sich halten.
»Ich bin gerade zusammengeschlagen worden, Dad, und ich brauche mir das nicht länger anzuhören«, rief er und sprang auf. Doch Charlie hielt ihn mit seiner gesunden Hand zurück. Einen Moment starrten Vater und Sohn einander an. Dann ließ Charlie Berties Arm los.
»Du setzt dich hin und spitzt die Ohren, bis ich mit dir fertig bin, mein Sohn.«
Angesichts des Zorns seines Vaters und der Höhe seiner Schulden gab Bertie den Widerstand auf, ließ sich zurück in den Sessel fallen und betrachtete mürrisch seine Schuhspitzen.
»Eine gute Entscheidung, mein Sohn«, fuhr Charlie zufrieden fort. »Du wirst deine Schulden bezahlen. Allerdings wirst du dafür selbst einen Kredit aufnehmen. Ich werde bei der Bank dafür bürgen, aber der Kredit läuft auf deinen Namen, und du wirst jeden Cent, einschließlich der Zinsen, selbst abtragen. Schließlich bist du Anwalt, verdammt, und ein angesehenes Mitglied der Gesellschaft, das sich verpflichtet hat, dem Gesetz zu dienen.« Charlie hielt inne. »Außerdem wirst du den Mund halten und einen Bogen um Rennbahn und Kartentisch machen, bis du gelernt hast, dich zu mäßigen. Und jetzt verschwinde, dieses Gespräch ist beendet. Du kannst mir einen ordentlichen Whisky einschenken und dann schauen, wo deine Mutter und deine Schwester sind.«
Erschöpft lehnte Charlie sich in seinem Sessel zurück und blickte Bertie nach, der aus dem Raum schlüpfte. Der junge Mann wirkte schwer erschüttert, und Charlie fragte sich, ob seine Gardinenpredigt etwas bewirkt hatte. Sie mussten Bertie dazu bringen, sich helfen zu lassen, bevor er sein Leben ruinierte. Der Junge erinnerte ihn so sehr an Wayne, dass es ihm Angst machte.
Auch wenn seine Worte nicht zu Bertie durchgedrungen waren – Charlie hatte diese kraftraubende Auseinandersetzung auf wundersame Weise geholfen. Er fühlte sich fast wieder wie der Alte. Zum ersten Mal seit dem Unfall hatte er das Kommando übernommen – trotz der mangelnden Möglichkeit, sich körperlich gegen den Jungen zur Wehr zu setzen. Er kratzte sich mit der heilen Hand am Kinn und spürte, dass ihm als Folge des Schlaganfalls noch immer der Mundwinkel herunterhing. Doch das alles spielte keine Rolle mehr. Die Krisensituation hatte Charlies Kampfgeist wieder zum Leben erweckt.
»Ich habe versucht, dir das zu ersparen, mein liebster Charlie, aber was sollte ich tun?«, klagte Nina händeringend, als sie einige Stunden später im Schlafzimmer allein waren.
Nina befürchtete, die Aufregung hätte Charlie geschadet, denn er wirkte ziemlich erschöpft. Charlie legte das Fachbuch beiseite, in dem er gerade las, und nahm die Brille ab.
»Wir müssen uns ernsthaft unterhalten, Neene, mein Liebling«, sagte er, richtete sich in dem großen Doppelbett auf und klopfte neben sich auf die Decke. Nina ließ sich wie ein verängstigtes Vögelchen auf der Bettkante nieder.
»Ich wollte doch nur eine gute Mutter sein«, schluchzte sie.
»Schsch … ruhig. Das warst du – für alle Kinder«, murmelte Charlie und streichelte ihr Haar und ihre Wange. »Ich war es, der Fehler gemacht hat. Ich hätte nein sagen sollen, als Bertie das erste Mal um Geld gebeten hat, aber ich wollte nicht einsehen, dass er eine jüngere Ausgabe von Wayne ist. Ich konnte es einfach nicht akzeptieren, denn das hätte bedeutet, dass ich versagt habe. Doch nun spielt alles keine Rolle mehr. Ich habe Bertie mitgeteilt, dass er selbst einen Kredit aufnehmen und die Schulden und das Darlehen zurückzahlen muss. Unsere Aufgabe ist es, ihm zu helfen. Er ist krank.«
Charlie hielt inne.
»Was dich angeht, meine geliebte Frau.« Er hob ihr Kinn mit dem Finger an und blickte in ihre Augen. Nina wandte sich ab und begann, an der Bettdecke herumzunesteln, aber er hielt ihr die zitternden Finger
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