Wohin der Wind uns trägt
fest. »Ich kenne dich, Neene, meine Liebste. Ich wusste immer …«
Er hielt inne und sprach nur mühsam weiter.
»Früher konnte ich deine Gedanken lesen wie ein offenes Buch, doch nun bedrückt dich offenbar etwas, das ich einfach nicht verstehe.«
Nina schluchzte auf und begann zu weinen. Sie gestand Charlie unter Tränen, wie Jack versucht hatte, sie zu küssen, und sprach über ihre Schuldgefühle, weil sie ihn womöglich verführt hatte. Nach Charlies Rückkehr hatte sie nicht gewagt, den Zwischenfall zu erwähnen. Sie war überzeugt davon, er würde ihr Absicht unterstellen und sich von ihr trennen. Als sie fortfuhr, wurde ihre Stimme allmählich kräftiger. Sie gab zu, sie habe sich während Charlies Krankheit verängstigt und leer gefühlt und sich geschämt, weil ihr der Mut und die Zuversicht ihrer Tochter fehlten. Sie hatte ihn so schrecklich vermisst und sich danach gesehnt, seine starken Arme um sich zu spüren, die sie festhielten und sie vor den Gefahren der Welt schützten.
»Ich hatte solche Sehnsucht und brauchte dich so sehr. Aber gleichzeitig wollte ich dir beweisen, dass ich erwachsen geworden bin und auch allein zurechtkomme …«
»Hoffentlich nicht immer, sonst bin ich ja völlig überflüssig«, unterbrach Charlie sie mit belegter Stimme und breitete die Arme aus.
Über seinen zukünftigen Umgang mit Jack würde er später nachdenken.
Nun wollte er nur noch seiner Frau nahe sein.
»Oh, Charlie, ich liebe dich so sehr«, stieß Nina bebend hervor und sank in seine Arme.
Zum ersten Mal seit dem Unfall liebten sie sich, zärtlich und mit der gebotenen Rücksicht auf seinen Gesundheitszustand.
22
Jo war froh, dem Trubel von Sydney einige Tage zu entkommen. Sie betrachtete die kleine Versammlung eleganter Menschen mit schicken Hüten beim Rennen in Tamworth und fragte sich für einen Moment, was wohl geworden wäre, wenn sie ihre Karriere als Fotomodell fortgesetzt hätte. So ungern sie es auch zugab, hatte der Zwischenfall mit Bertie sie schwer erschüttert.
Nachts fuhr sie bei jedem Geräusch hoch. Wenn das Telefon läutete, zuckte sie zusammen. Und täglich erwartete sie, beim Betreten des Büros neue Drohbriefe vorzufinden. Es kamen zwar keine mehr, aber die Medien hatten Wind von der Krise in der Familie Kingsford bekommen, und bald hatte es sich überall herumgesprochen. Allerdings hatte ein Brief von Emma Jo wieder ein wenig aufgemuntert.
Obwohl sie und Emma höchstens zweimal im Jahr miteinander telefonierten oder sich schrieben, war ihre Freundschaft nicht eingeschlafen. Jo konnte das Gesicht und die wohlgeformte Figur ihrer Freundin regelmäßig in Hochglanzzeitschriften bewundern. Die Pferde gingen an den Start, und Jo musste an Emmas Brief denken. Man merkte jedem Wort an, wie glücklich ihre Freundin war. Ihre Karriere entwickelte sich prächtig, sie war nie im Leben zufriedener gewesen und außerdem bis über beide Ohren in einen Rockstar verliebt. Jo erinnerte sich an das schmerzliche Gefühl, das sie beim Lesen der Nachricht über Simon durchzuckt hatte. Emma war zufällig einer Freundin von Lelia begegnet. Diese erzählte, Simon befände sich auf einer Weltreise, während seine Familie kein Wort über das Verhalten ihres Sohnes verlöre.
»Da du ihn in deinem letzten Brief nicht erwähnt hast, vermute ich, du hast auch nichts gehört …«
Die lieben Worte, die darauf folgten, waren Jo vor den Augen verschwommen. Wütend, weil Simon ihr immer noch nahe ging, hatte sie den Brief wieder in den Umschlag gestopft und war losgezogen, um sich einen neuen Hut zu kaufen, und zwar den schicken rotweißen, den sie heute trug.
Die Pferde stürmten los, und Jo wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Renngeschehen zu. Sleeper übernahm die Führung. Jo sprang aufgeregt in die Höhe, um ihn anzufeuern.
»Los, Dopey, schneller!«, rief sie, und alle Gedanken an Emma und an Simon waren auf einmal wie weggeblasen.
Sleeper ist gut in Form, sagte sie sich, und sie war stolz, als er einige der besten Sprinter des Landes weit hinter sich ließ. Mit klopfendem Herzen sah sie zu, wie er drei Längen vor dem beeindruckenden Feld den Zielstrich passierte.
Sie wirbelte mit einem Jubelruf herum, fiel Phillip um den Hals und drückte ihm einen schmatzenden Kuss auf den Mund, den er ebenso begeistert erwiderte. Ein wenig unsicher blickten sie einander an.
»Ist das nicht einfach wunderbar?«, rief Jo atemlos.
Sie eilte zu Sleeper und Damien hinüber, um zu gratulieren, Glückwünsche
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