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Wohin der Wind uns trägt

Wohin der Wind uns trägt

Titel: Wohin der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne McCullagh Rennie
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empört über seinen zweiten Angriff.
    Sie sah auf den Notizblock, auf den er mit der linken Hand etwas kritzelte. In zittriger Schrift kritisierte er ihre Trainingsmethoden und die schlechte Presse, die der Rennstall momentan erhielt. Außerdem beschuldigte er sie, sie habe nicht auf offensichtliche Dinge geachtet und sich nicht ausreichend mit dem Verhalten des Pferdes beschäftigt.
    »Dad, das ist ungerecht, ich tue mein Bestes«, protestierte Jo, als Charlie das letzte Wort mit Nachdruck unterstrich.
    »Das reicht aber nicht. Solche Fehler kannst du dir nicht leisten«, erwiderte Charlie langsam und mit schleppenden Konsonanten.
    »Einen Moment, Dad. Ich bin diejenige, die sich jeden Morgen in die Schlacht werfen muss. Nicht du. Und neue Kritik, ausgerechnet von meinem eigenen Vater, hat mir gerade noch gefehlt. Was hältst du davon, mich einmal zu unterstützen?«, empörte sie sich.
    Gekränkt suchte sie nach weiterer Munition. Da fiel ihr der traurige Kontostand des Rennstalls ein.
    »Ich verlange nicht viel von dir, nur ein paar Tipps hie und da und ein bisschen Verständnis. Ich erwarte nicht, dass du mir wie Bertie seit Jahren das Geld in den Rachen wirfst, ohne mit der Wimper zu zucken.« Jo war so empört, dass sie trotz Charlies wütendem Blick fortfuhr. »Warum gibst du Bertie immer wieder Geld, Dad? Bei mir oder bei …«
    Beinahe hätte sie Ricks Namen ausgesprochen, hielt sich aber rechtzeitig zurück.
    »Du solltest doch wissen, dass ich irgendwann merken würde, dass vom Rennstallkonto Geld fehlt«, fügte sie, immer noch zornig, hinzu.
    Charlie legte die Zeitung weg und blickte Jo über den Rand seiner Hornbrille hinweg an.
    »Solange du in diesem Ton mit mir sprichst, brauchen wir uns nicht weiter zu unterhalten«, sagte er drohend und wandte sich wieder seinem Kreuzworträtsel zu.
    Ihre Worte hatten Charlie tief getroffen. Im Krankenhaus, ohne Hoffnung auf ein normales Leben, hatte er viel über Bertie und dessen Umgang mit Geld nachgedacht. Bertie war das Familienmitglied, das ihn am seltensten besuchte und sich auch sonst fast nicht um ihn kümmerte. Um das Maß vollzumachen, hatte sein eigener Sohn sogar versucht, hinter seinem Rücken den Rennstall zu verkaufen – obwohl Charlie ihn wiederholt davor gerettet hatte, dass ihm die Spielschulden nicht über den Kopf wuchsen.
    Charlie befürchtete, dass es mit ihm dasselbe schlimme Ende nehmen würde wie mit seinem Onkel Wayne. Allerdings wollte er Nina nicht in den Rücken fallen und das Problem zuerst mit Jo besprechen.
    Wucherer mit neun Buchstaben? Kredithai.
    Ärgerlich kritzelte er die Antwort in die Kästchen.
    »Verdammt, Dad! Du könntest es mir wenigstens erklären. Schließlich arbeite ich jeden Tag mit den Pferden«, schimpfte Jo.
    »Du wiederholst dich«, antwortete Charlie kühl. »Dein Bruder und ich haben vor dem Unfall eine gültige Abmachung getroffen. Die Darlehen waren einmalige Angelegenheiten und gehen dich nichts an.«
    Er beugte sich wieder über sein Kreuzworträtsel. Jo sah, wie seine Hand zitterte, und sie bekam Mitgefühl mit ihm.
    »Gut, Dad. Es tut mir leid. Ich habe nur nicht damit gerechnet, dass du so wenig Verständnis für meine Belange hast.«
    Es war zwecklos, mit ihrem Vater herumzustreiten. Sie brauchte sein Vertrauen und seinen Rat. Was Dopey anging, war er eindeutig im Recht. Auch er hatte seinen Stolz. Seine Genesung machte große Fortschritte, und obwohl er nie darüber sprach, ahnte Jo, wie sehr es ihn wurmte, nicht mehr selbst mit anpacken zu können.
    »Ich würde gern mit dir darüber reden, was ich beim Training verbessern könnte. Am schönsten wäre es natürlich, wenn du selbst zur Bahnarbeit kommen würdest«, meinte sie deshalb leise.
    »Erst, wenn ich hoch erhobenen Hauptes und auf eigenen Beinen über den Platz gehen kann. Erzähl mir lieber von den Anrufen.«
    Mit einem erleichterten Seufzer schüttete Jo ihrem Vater das Herz aus. Er beruhigte sie, und anschließend erörterten sie die Ställe und die Pferde. Wenn ihm das Sprechen zu anstrengend wurde, nahmen sie den Notizblock zu Hilfe. Bald unterhielten sie sich wieder offen und freundschaftlich miteinander.
    Erst vor dem Zubettgehen – Jo machte sich eine heiße Schokolade – regte sich ihre Wut auf Bertie erneut. So war sie auch nicht in bester Laune, als sich die Hintertür öffnete, und der Besagte höchstpersönlich hereinschlüpfte.
    »Wo sind Mum und Dad?«, knurrte er mit wildem Blick.
    Er war schmutzig und zerrauft. Seine

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