Wohin der Wind uns trägt
hörte sie, wie die Hintertür zufiel und ein Wagen mit dröhnendem Motor die Auffahrt entlangdonnerte.
»Hau ab und verspiel Geld, das du nicht hast – wenn sie dich nicht vorher wegen Alkohol am Steuer drankriegen.« Jo ließ sich ins Bett fallen, zog die Decke hoch und starrte zur Decke.
Er versuchte sicher nur, ihr mit seinem juristischen Wissen Angst einzujagen. Andererseits waren Anwälte mit allen Wassern gewaschen. Bertie war geschickt darin, die Tatsachen zu seinem Vorteil zurechtzubiegen. Jo nahm sich vor, gleich morgen mit dem Familienanwalt zu sprechen. Dann drehte sie sich entschlossen um und schlief ein.
Um ein Uhr morgens wurde sie von Nina wach gerüttelt. »Was ist denn?«, rief sie und fuhr erschrocken hoch.
»Jo! Jo! Bertie ist verletzt. Er wurde überfallen und in die Notaufnahme eingeliefert«, stieß ihre Mutter leichenblass hervor. »Die Polizei hat gerade angerufen.«
Blitzschnell sprang Jo aus dem Bett. Die Worte ihres Bruders hallten ihr noch in den Ohren. Sie hastete mit Nina zum Auto und raste zum Krankenhaus. Bertie lag in einem Behandlungszimmer. Sein Gesicht war zerschlagen, ein Auge fast vollständig zugeschwollen.
»Er hatte Glück, dass es ihn nicht schlimmer erwischt hat. Der Täter muss gestört worden sein. Manche Prügelopfer, die wir aus Cross hereinbekommen, sehen wirklich übel aus«, erklärte eine Krankenschwester und spielte damit auf Kings Cross an, das Rotlichtviertel von Sydney. »Ein alter Bekannter hat uns seinetwegen gerufen, und wir haben ihn eingesammelt. Die Polizei würde gern mit Ihnen sprechen. Hoffentlich erwischen sie die Mistkerle.«
»Wenn nicht, werde ich sie mir vorknöpfen«, murmelte Jo. Auch wenn Bertie und sie verschiedener Ansicht waren, ging es hier um etwas anderes. Er hatte sie um Hilfe gebeten und war bei ihr auf taube Ohren gestoßen.
»Ich dachte nicht, dass er die Wahrheit sagt«, gestand Jo schuldbewusst dem Polizisten, der sie und Nina befragte.
»Vielleicht hat er das ja auch nicht, aber der Kerl, der ihn angegriffen hat, macht offenbar keine halben Sachen. Diesen Zettel hat er ihrem Bruder ans Hemd geheftet.«
Der Polizist förderte einen durchsichtigen Plastikbeutel mit einem zerknitterten, blutbefleckten Zettel zutage, den er auf dem Tisch vor Jo und Nina glatt strich. Jo bekam beim Lesen des in kindlich wirkenden Blockbuchstaben verfassten Textes eine Gänsehaut: »Das ist eine Warnung – zahle oder verschwinde!«
Du lieber Himmel! Mit wem hatte Bertie sich da eingelassen, und wie hoch waren seine Schulden? Nina schnappte unwillkürlich nach Luft. Sofort fasste Jo nach der Hand ihrer Mutter.
»Schon gut, Mum«, sagte sie.
»Wie konnte das geschehen, Jo? Oh, mein Gott, das ist entsetzlich«, flüsterte Nina. Rasch beherrschte sie sich und drückte Jos Hand. »Es geht schon wieder, mein Kind.«
»Mir ist klar, wie schlimm das für Sie und Ihre Tochter sein muss, Mrs Kingsford. Aber ich bin leider gezwungen, Ihnen noch ein paar Fragen zu stellen«, begann der Polizist freundlich. Nina nickte nur benommen. Jo beantwortete all seine Fragen. Sie fühlte sich hin und her gerissen zwischen ihrem schlechten Gewissen und der Wut auf ihren Bruder, der sich die Suppe selbst eingebrockt hatte.
»Tut mir leid, Schwester … Tut mir leid, Jo. Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll«, schluchzte Bertie, als sie ihn am nächsten Tag nach Hause holten. »Sie haben mich unter Druck gesetzt, bis ich ihnen den Stall versprochen habe, falls Dopey nicht gewinnt. Ich dachte, er wird bestimmt Erster. Damit wäre ich aus dem Schneider gewesen. Und die Hälfte von allem wird sowieso einmal mir gehören.«
Kurz leuchtete der Trotz in seinen verquollenen Augen auf. Jo wandte – angewidert und bedauernd – den Blick ab.
»Wie konntest du das tun, Bertie?«, entsetzte sich Nina. »Kein Wort zu deinem Vater, ganz gleich, was geschieht. Ich nehme einen Kredit auf und verkaufe eines meiner Grundstücke in Neutral Bay, damit du diese Leute auszahlen kannst«, beschloss Nina mit finsterer Miene, nachdem sie und Jo einem sehr ernüchterten und verängstigten Bertie die genaue Höhe der Summe entlockt hatten.
»Das wirst du schön bleiben lassen, Neene.«
Das war Charlie, der gerade ins Zimmer gehinkt kam. Er zog das rechte Bein hinter sich her und stützte sich auf zwei Krücken.
»Warum machst du deiner Mutter nicht eine Tasse Tee, Jo? Bertie und ich müssen unter vier Augen miteinander reden.« Nachdem Charlie die beiden erschrockenen Frauen aus
Weitere Kostenlose Bücher