Wohin der Wind uns trägt
zum Zerreißen gespannt. Vor dem Schlafengehen rief sie Damien in Hotel an, um sich zu vergewissern, dass alles in Ordnung war, und wälzte sich dann die ganze Nacht schlaflos hin und her.
Am nächsten Morgen stand sie mit einem flauen Gefühl im Magen auf und hastete ins Bad. Der Tag des Melbourne Cup, an dem die ganze Nation auf ein Pferderennen blickte, war endlich da.
Lange bevor Jo die Ställe erreichte, spürte sie die Aufregung, die in der Luft lag. Um sieben Uhr morgens hatten sich die elegant gekleideten Zuschauer bereits an der Rennbahn häuslich eingerichtet und genossen ihr Champagnerfrühstück. Überall wimmelte es von Hüten in sämtlichen Farben und Formen. Manche waren von dezenter Eleganz, während andere eher gewagt oder sogar lächerlich wirkten. Doch es war nun einmal Sitte, dass die Damen einander beim Melbourne Cup mit von Federn, Spitzen oder Früchten geschmückten Kreationen überboten. Reporter traten sich – auf der Suche nach einer Geschichte, einem Gerücht, einem skandalträchtigen Prominenten oder einer griffigen Schlagzeile für diesen bedeutenden Tag – gegenseitig auf die Füße. Das Wetter war kühl, aber sonnig, und machte einen vielversprechenden Eindruck. Die berühmte Rennbahn von Flemington erstrahlte in ihren schönsten Farben.
Jo ging mit Phillip zu den Ställen, wo Glen gerade Let’s Talk striegelte. Sie konnte kaum fassen, dass der große Tag wirklich da war. Glen, der nach den an der Seite des Pferdes verbrachten Nachtwachen einen müden Eindruck machte, begrüßte sie dennoch mit einem fröhlichen Grinsen.
»Raten Sie mal, wer gerade gekommen ist«, meinte er, als Winks aus dem Schatten trat.
»Ich hätte nie gedacht, dass ich das noch erleben würde. Ich konnte es mir auf keinen Fall entgehen lassen«, sagte der alte Mann bewegt und kaute heftig auf den Überresten einer kalten Zigarette herum. Vor Rührung versagte ihm die Stimme.
Jo blieb der Mund offen stehen, und ihr Herz machte einen Satz. Dann fiel sie Winks überglücklich um den Hals und drückte ihn an sich. Alle ihre Freunde und sogar ihre Familie – aus der Ferne hatte sie gesehen, wie Bertie sich in der Nähe der Buchmacher herumdrückte, doch er hatte sich rasch wieder getrollt – waren gekommen, um sie anzufeuern. Alle – bis auf Mum und Dad. Und das, obwohl Charlie der Mensch war, nach dessen Gegenwart Jo sich bei diesem Rennen am meisten sehnte.
»Danke«, flüsterte sie und ging zu Let’s Talk hinüber.
Nachdem sie das Pferd gründlich in Augenschein genommen hatte, besprach sie mit Glen, wie es vor dem Rennen in die Box gebracht werden sollte. Immer noch besorgt, hatte sie vor dem Aufbruch erneut mit Damien telefoniert, der erst am frühen Nachmittag auf der Rennbahn erwartet wurde. Obwohl sie sicher war, dass der Jockey sich wieder von dem Überfall erholt hatte, und trotz ihres Vertrauens in ihn waren ihre Nerven zum Zerreißen gespannt.
Jo beobachtete das letzte Rennen vor der Mittagspause mit Wehmut im Herzen, weil ihr Vater nicht bei ihr war, um den Triumph zu teilen. Sie konnte wirklich stolz auf ihre Erfolge sein. Trotz der vielen Momente, in denen Jo versucht gewesen war, das Handtuch zu werfen, hatte die Kingsford Lodge bewiesen, dass sie sich gegen die Konkurrenz behaupten konnte. Auch bei dieser prestigeträchtigen Rennveranstaltung waren viele Kingsford-Pferde platziert worden. Und ob Let’s Talk nun Erster oder Letzter wurde, war eigentlich egal. Sie als seine Trainerin – offiziell nur Stallmeisterin! – hatte es geschafft, ihn für das wichtigste Pferderennen Australiens zu qualifizieren. Mit einem Seufzer eilte Jo zu den Boxen.
Der Turniertierarzt hatte Let’s Talk bereits für startberechtigt erklärt. Während Jo das Pferd sattelte und die Gurte anzog, sprach sie leise mit ihm. Sie vergewisserte sich, dass die Gewichte richtig angebracht waren, während Glen die andere Seite kontrollierte. Der stets pünktliche Damien war inzwischen sicher schon gewogen worden und wartete in seiner frisch gewaschenen Seidenjacke im Aufenthaltsraum der Jockeys. Das weiße Auto und den Raubüberfall hatte er bestimmt längst vergessen.
Nervös, aber überzeugt, dass sie alles erledigt hatte, übergab Jo das Kommando an Glen und ging zum Aufsitzplatz, um mit Let’s Talks anderen Besitzern zu sprechen. Dabei sah sie sich nach Hope um, die ihr eigentlich hätte melden sollen, dass Damien sich tatsächlich im Aufenthaltsraum der Jockeys befand. Während Jo von zwei Rennkommentatoren
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