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Wohin der Wind uns trägt

Wohin der Wind uns trägt

Titel: Wohin der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne McCullagh Rennie
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wieder ein Brief von ihrer Mutter eingetroffen. Jos miserable Leistung auf dem Tennisplatz hatte ihren Grund darin, dass sie sich vor lauter Elend und Verzweiflung einfach nicht konzentrieren konnte.
    »Du spinnst doch, Jo! Deine Mutter möchte mit dir die besten italienischen Fotografen aufsuchen, um eine Präsentationsmappe für dich zusammenzustellen, die sich die meisten von uns niemals leisten könnten – und du möchtest auf diese Chance verzichten, um mit mir Tante Sarah in ihrer alten Bruchbude zu besuchen! Das alles nur, weil ich erwähnt habe, dass es dort irgendwo ein paar dämliche Ställe gibt«, entsetzte sich Emma. Jo, die sich gerade ein Handtuch um ihr frisch gewaschenes Haar schlang, hatte ihr den Brief ihrer Mutter aufs Bett geworfen.
    »Ich dachte, du hättest beschlossen, es zu versuchen. Ein Fototermin in Mailand! Ein Laufstegkurs in Paris! Um Himmels willen, Jo, nutze die Gelegenheit. Da kannst du prima Beziehungen knüpfen.«
    Mit einem entnervten Seufzer ließ sich Emma, dramatisch wie immer, rückwärts aufs Bett fallen. Dann drehte sie sich rasch um, stützte das Kinn in die Hand und musterte ihre Freundin.
    »Natürlich werde ich es versuchen«, entgegnete Jo unwirsch und kämpfte mit den Tränen.
    Verdammt, Emma hatte recht. Eigentlich hätte sie dankbar sein müssen, anstatt sich zu ärgern. So eine Chance bot sich kein zweites Mal im Leben, und ihre Mutter servierte sie ihr auf einem silbernen Tablett. In zwölf Monaten würde sie sich mit einem Lachen an den heutigen Tag erinnern und ihre Niedergeschlagenheit vergessen haben. Sie hatte sich doch fest vorgenommen, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Aber erst nach dem Schulabschluss, nicht schon jetzt. Sie hatte sich so darauf gefreut, die Osterferien mit Emma in England zu verbringen. Sie planten Ausflüge, Picknicks und lange Ausritte …
    »Die dämlichen Ställe, von denen Emma gesprochen hatte, gehören bloß zufällig Guy Compton, und der ist nur einer der bedeutendsten Rennstallbesitzer Englands«, dachte Jo zornig und schleuderte ihr Handtuch zu Boden. Sie wollte nicht alles aufgeben, sondern sich nur die Pferde ansehen, ihren Gang beobachten, ihre langen, kräftigen Hälse streicheln, spüren, wie sie mit ihren weichen Lippen ihre Finger liebkosten und die Geräusche und Gerüche auf sich wirken lassen, die sie so sehr vermisste. Mehr nicht. Die Pferde in Pierrefeu konnten es nicht mit den Vollblütern aufnehmen, die sie gewöhnt war. Inzwischen war sie gar nicht mehr sicher, ob sie überhaupt noch Pferdetrainerin werden wollte, wenn das nur ständige Auseinandersetzungen mit sich brachte.
    Wieder spürte sie, wie ihr das Wasser in den Augen stand. Mein Gott, was war sie nur für eine Heulsuse! Sie riss eine Schublade auf, zog einen spitzengesäumten Unterrock heraus, schlüpfte hinein und stieß die Schublade mit der Hüfte zu. Sie war verzweifelt. Der Unterrock, ein Weihnachtsgeschenk von Nina, schmiegte sich verführerisch an ihren schlanken Körper. In den letzten Monaten hatte sie viel Sport getrieben und vor lauter Kummer so wenig gegessen, dass der Babyspeck verschwunden und ihre Figur fest und durchtrainiert war.
    »Ich habe keine Ahnung, warum du nicht Fotomodell werden willst«, rief Emma.
    »Ach, lass mich, Emma.« Jo sank aufs Bett, wich dem Blick ihrer Freundin aus und nestelte am Spitzensaum des Unterrocks herum. Ihre Wut verwandelte sich allmählich in Schicksalsergebenheit. Zumindest kümmerten ihre Eltern sich um ihre Zukunft. Plötzlich kam ihr in den Sinn, was Emma gerade über das Knüpfen von Kontakten gesagt hatte. Sie richtete sich auf und sah ihre Freundin unternehmungslustig an.
    »Warum fährst du nicht einfach mit? Mum hätte bestimmt nichts dagegen.«
    Emmas Miene hellte sich auf.
    »Bist du sicher?«, fragte sie aufgeregt.
    »Aber ja. Sie wird ganz begeistert von dir sein, weil du im Gegensatz zu mir wirklich Fotomodell werden willst. Außerdem musst du dich sowieso fotografieren lassen.« Jo fand ihren Einfall großartig. »Du kennst dich viel besser aus als ich, Emma. Du weißt, wie man sich benehmen und was man sagen muss, und verwechselst nicht ständig irgendwelche Markennamen … dann haben wir beide eine tolle Präsentationsmappe. Oh, Emma, wenn du dabei bist, ist es nicht so schlimm für mich. Zusammen macht es viel mehr Spaß.« Erleichtert legte sie sich auf den Rücken und blickte zur Decke.
    In diesem Moment schlug die alte Kirchturmuhr in der Ferne und erinnerte sie daran, dass es

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