Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wohin der Wind uns trägt

Wohin der Wind uns trägt

Titel: Wohin der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne McCullagh Rennie
Vom Netzwerk:
gleich Zeit für den Nachmittagstee war.
    »Ach herrje! Wenn wir zu spät kommen, gibt es richtig Ärger.« Emma sprang auf und zerrte eine Bluse aus dem Schrank.
    »Du meine Güte, ich hatte ganz vergessen, dass ich heute mit dem Bedienen dran bin«, verkündete Jo erschrocken. Aufgemuntert von ihrem Plan, schlüpfte sie rasch in die Kleider.
    »Heute Abend rufe ich Mum an«, meinte sie, während sie sich hastig mit der Bürste durchs Haar fuhr.
    Als sie, ihre Sachen zuknöpfend und die Kragen glatt streichend, die Treppe hinuntereilten, sprachen sie weiter über ihr Vorhaben. Die beiden stürmten in den Raum, wo sich Emma auf einen freien Platz zwischen den anderen Schülerinnen fallen ließ und wie auf Kommando eine Unschuldsmiene aufsetzte. Währenddessen griff Jo kurzatmig – und gerade noch rechtzeitig vor dem Eintreffen der Hausmutter – nach einer Platte mit selbst gebackenem Kuchen und musste sich einen finsteren Blick von Mademoiselle Viaud gefallen lassen.
    Jo gab es zwar nur ungern zu, doch die Fotositzung machte ihr Spaß. Anfangs versetzte die Galerie von Bildern berühmter Fotomodelle, die die Wände des hellen und geräumigen Studios in Mailand zierten, ihrem Selbstbewusstsein einen ziemlichen Dämpfer. Aber als Giulio Fellice, in Jeans und Freizeithemd, mit ihr zu arbeiten begann, ließ ihre Verlegenheit allmählich nach, und sie wurde lockerer. Im grellen Licht der Studioscheinwerfer drehte sie lächelnd den Kopf hin und her, verrenkte sich, spielte mit ihrem Haar und nahm auf Anweisung des berühmten Fotografen verschiedene Posen ein.
    Draußen kämpfte sich die Sonne durch den gelblichen Nebel, der über den Dächern, Kuppeln und Türmen der belebten Stadt hing. Mit einem raschen Blick auf Nina, die es sich in einem der großen weißen Sessel gemütlich gemacht hatte, dachte Jo daran, dass dank Emmas Gegenwart alles klappte wie am Schnürchen.
    Nina und Emma hatten sich auf Anhieb glänzend verstanden, und alles ging seinen Gang. Emmas Ausgelassenheit und Begeisterungsfähigkeit waren ansteckend, und Nina gefiel ihre vernünftige Art. Für Emma hingegen war es wie ein Wunder, eine Art Ersatzfamilie gefunden zu haben.
    Nina empfand die fröhliche Stimmung als angenehme Abwechslung, da bei ihr und Charlie in letzter Zeit der Haussegen schief hing. Sie sah ihren Mann immer seltener, und wenn, dann stritten sie nur. Deshalb hatte ihr schon vor den bevorstehenden Auseinandersetzungen mit Jo gegraut. Außerdem hatte sie den Eindruck, dass es zwischen ihr und ihrem Mann zu Spannungen kam, sobald einer von ihnen auch nur Jos Namen aussprach. Nina selbst fühlte sich natürlich völlig schuldlos daran.
    Nun erlebte sie ihre Tochter zum ersten Mal, seit Jo das Institut Pierrefeu besuchte, in vergnügter Stimmung, und sie war Emma sehr dankbar dafür. Jeden Tag erstaunte es sie aufs Neue, dass Emma Bamford nicht nur wunderschön war, sondern es auch geschafft hatte, in Jo das Interesse am Modelberuf zu wecken.
    »Joanna, carina, das Lächeln … die Augen … Wir brauchen mehr passione … mehr …«, rief Giulio aus und schlug sich mit der Handfläche auf die Brust. Dann blickte er rasch in die Kamera. »Den Kopf ein bisschen mehr …«
    Er trat vor, drehte Jos Kopf ein kleines Stück zur Seite, korrigierte die Haltung ihres Arms und wich zurück. Wieder lächelte Jo mit leicht geöffneten Lippen in die Kamera. Dabei erinnerte sie sich an Emmas Rat, sich die Kamera zum Freund zu machen.
    » Si, si! Bene, bene, sehr gut …«, begeisterte sich Giulio. »Ich sehe dein Herz … e ancora … noch einmal«, befahl er und neigte die Kamera, während er unablässig den Auslöser betätigte. Begleitet von einem Blitzlichtgewitter lief er vor Jo hin und her.
    Giulio wechselte rasch den Film, während zwei Assistentinnen, die im Hintergrund warteten, sich an Jos Make-up und ihrer Frisur zu schaffen machten. Insgesamt verschoss Giulio vier Rollen Film und hielt nur inne, damit eine dritte Assistentin Jo helfen konnte, immer wieder neue Kleidungsstücke anzulegen. Der Fotograf feuerte eine Salve von Anweisungen auf Italienisch und Englisch ab und betätigte etwa zwanzig Minuten lang ununterbrochen den Auslöser, bis endlich Schluss mit den blendenden Blitzlichtern war.
    »Bravo, bravo, Joanna, bambina, eccellente, sehr gut.« Er warf einen Blick auf Nina. »Für heute ist es genug, signora. Morgen machen wir die Außenaufnahmen.« Als er lächelte, hoben sich seine weißen Zähne strahlend von der gebräunten Haut

Weitere Kostenlose Bücher