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Wohin der Wind uns trägt

Wohin der Wind uns trägt

Titel: Wohin der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne McCullagh Rennie
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Stimmung.
    »Beeilung, meine Damen«, rief da eine hohe Stimme auf Französisch. »Sie wissen, dass wir in Pierrefeu niemals zu spät zum Nachmittagstee kommen.«
    Rasch verstauten Jo und Emma ihre Schläger in den Hüllen und tuschelten auf Englisch weiter.
    »Denken Sie an Ihre Haltung, meine Damen«, fuhr die Stimme ungeduldig fort. »Und sprechen Sie Französisch.«
    Die beiden Mädchen streckten Mademoiselle Viaud hinter deren Rücken die Zunge heraus. Sie unterrichtete Umgangsformen und lag ständig auf der Lauer, damit die Schülerinnen sich auch richtig benahmen. Kichernd rannten sie auf die wunderschöne braunweiße Villa im alpenländischen Stil zu. Inzwischen lebte Jo schon seit fünf Monaten hier in Pierrefeu.
    »Was hältst du davon, vor dem Abendessen auszureiten?«, fragte Jo und tat, als schlüge sie nach einem imaginären Tennisball. Dabei versuchte sie, ihren Zorn zu dämpfen. »Die Pferde könnten wegen der Kälte ein bisschen lebhaft sein, aber vielleicht ist es in diesem Semester unsere letzte Gelegenheit.«
    Emma nickte zustimmend. Reiten, Tennis und Emma waren die einzigen Faktoren, die das Institut Pierrefeu für Jo erträglich machten. Der heutige Brief von Nina hingegen hatte sie in Rage versetzt, denn er hatte ihr wieder einmal vor Augen geführt, dass ihre Eltern ihr Leben über ihren Kopf hinweg verplanten. Auf dem Weg zur Dusche fragte sich Jo, wie sie das alles ohne Emma überstanden hätte.
    Sie grollte ihren Eltern immer noch, weil diese sie im vergangenen November ohne viel Federlesens im Institut Pierrefeu abgeladen hatten. Das Weihnachtsfest hatte sie mit ihnen in gedrückter Stimmung in St. Moritz verbracht. Und um das Maß vollzumachen, war sie dazu verdonnert worden, den ganzen Tag in einem Skikurs zu verbringen, während Charlie sich die Pferderennen auf dem Eis des Sees angeschaut hatte. Erst, als Emma Banford an einem eiskalten Januartag in ihr Dreibettzimmer gestürmt war, hatte Jo wieder einen Lichtblick im Leben gesehen. Emma, die zum zweiten Semester an die Schule zurückkehrte, hatte ihre Gucci-Handtasche aufs Bett geworfen, ihr Gepäck auf den Boden fallen lassen und war aus ihrem knöchellangen Mantel geschlüpft. Nachdem sie den Mohairschal abgenommen und ihr taillenlanges kastanienbraunes Haar ausgeschüttelt hatte, dass die Schneeflocken in alle Richtungen flogen, verkündete sie mit lauter Stimme, sie beabsichtige, das erste Mädchen zu werden, das an dieser Schule den Abschluss machte, ohne ein Wort Französisch zu sprechen.
    Wie auf ein Stichwort hin hatte sich im nächsten Moment die Tür geöffnet, und eine Stimme rief entsetzt: » Mademoiselle, non, non! Aber Sie müssen versuchen parler français! «
    Emmas braune Augen richteten sich auf die zierliche Schweizerin, die Assistentin der Hausmutter. Dann lief sie auf sie zu und fiel ihr um den Hals.
    »Oh, Madame Fleuri, es ist so schön, Sie wiederzusehen. Keine Angst, wir werden uns nur auf Französisch unterhalten.«
    Madame Fleuri machte sich heftig errötend los und drohte dem Mädchen halb im Scherz mit dem Finger, bevor sie mit einem missbilligenden Zungenschnalzen die Flucht ergriff. Emma ließ sich lachend aufs Bett sinken.
    »Die arme Madame Fleuri, immer wieder fällt sie darauf herein. Dabei ist sie ein richtiger Schatz und hat immer ein offenes Ohr für unsere Probleme.«
    Verwirrt und ein wenig neidisch betrachtete Jo dieses kühne und wunderschöne Geschöpf, das mit seinen langen Beinen und der wohlgeformten Figur einer Modezeitschrift entstiegen zu sein schien.
    »Aber wir müssen doch Französisch sprechen! Deswegen sind wir hier«, rief die vollbusige dunkelhäutige Italienerin, die das dritte Bett belegte.
    Emma verdrehte die Augen.
    »Immer mit der Ruhe, Rosita. Das war ein Witz. Außerdem werden Topmodels wegen ihres Aussehens und nicht wegen ihres Konversationsstils gebucht. Und genau das möchte ich werden, wenn ich mit der Schule fertig bin.«
    Sie umrundete ihre beiden gewaltigen Koffer und stolzierte wie die Karikatur eines Mannequins auf dem Laufsteg durchs Zimmer. Dann hievte sie mit einem riesigen Seufzer den größeren der beiden Koffer aufs Bett, kippte den gesamten Inhalt aus und ließ sich neben den Haufen fallen, sodass der Großteil der Sachen auf den Boden rutschte.
    »Ach, wie ich Auspacken hasse.«
    »Mir geht es genauso, deshalb habe ich auch nur einen Koffer mit«, gab Jo zu, die mit dem Verstauen ihrer Sachen schon beinahe fertig war.
    »Nur einen einzigen Koffer? Das

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