Wohin der Wind uns trägt
die in ihren neuen hochhackigen italienischen Pumps kaum mithalten konnte, ließ sich erleichtert auf einen Stuhl vor dem Restaurant fallen. Unmittelbar gegenüber ragte Mailands Kathedrale, die mit ihren kunstvollen gotischen Bögen und hohen Türmchen an einen Hochzeitskuchen aus weißem Marmor erinnerte, in ihrer ganzen überladenen Pracht vor ihnen auf.
»Diese grässlichen Südländer«, japste Nina, kontrollierte ihr Make-up und hatte ganz vergessen, dass einige ihrer besten Freundinnen zu Hause aus Italien stammten.
»Ich verhungere«, meinte Emma lachend. Sie brütete über der Speisekarte und mühte sich damit ab, die Namen der italienischen Gerichte auszusprechen.
Da Nina das Italienische nur unwesentlich besser beherrschte als die beiden Mädchen, erforderte die Bestellung einiges an Zeichensprache. Doch zehn Minuten später konnten Jo und Emma sich erleichtert an ofenwarmen Pizzen gütlich tun, die dick mit Tomatensauce, Sardellen und Knoblauchsalami belegt waren. Wohlschmeckender Käse tropfte ihnen das Kinn hinunter und zog sich über den luftigen Teig. Genüsslich wickelten sich die Mädchen die leckeren Fäden um Zunge und Finger, während sich Nina damenhaft an einem Cotoletta alla Milanese labte; das köstlich panierte Kalbfleisch zerging ihr auf der Zunge.
Mum hat recht, dachte Jo, schob das letzte Stück Pizza in den Mund und tupfte sich die Lippen an der gestärkten weißen Serviette ab. Sie und Emma ergänzten einander und brauchten sich. Sie griff nach ihrem Glas, aber ihre Hand blieb mitten in der Bewegung stehen, als eine laute Stimme mit australischem Akzent das Schweigen brach, das während der Mahlzeit am Tisch eingekehrt war.
»Das darf doch nicht wahr sein! Ich traue meinen Augen nicht! Träume ich? Nina Kingsford, was zum Teufel machst du denn in Mailand?«
Ninas Kopf fuhr überrascht hoch. Vor Überraschung ließ sie die Gabel aufs Pflaster fallen. Nachdem sie das Messer auf dem Teller abgelegt hatte, schob sie ihren Stuhl zurück und sprang auf.
»Jenny Cooper«, schrie sie begeistert, lief der schlanken, sonnengebräunten Frau Anfang vierzig entgegen und fiel ihr um den Hals.
Jenny war elegant in eine lässige weiße Bluse und eine maßgeschneiderte Hose gekleidet. Ihre Lippen waren leuchtend rot geschminkt, und ihre Ohren wurden von riesigen Goldohrringen verdeckt. Sie hatte die gewaltige Sonnenbrille mit dem weißen Gestell aus dem markanten Gesicht geschoben, sodass sie in ihrem dichten braunen Haar thronte.
»Du wirst es nicht glauben, Jenny, aber ich wollte dich heute Abend anrufen. Eigentlich solltest du doch in Paris sein. Setz dich«, rief Nina, zog einen Stuhl vom Nachbartisch heran und stellte Jo und Emma vor. » Garçon – hoppla, falsches Land.«
Sie winkte den Kellner heran und bestellte etwas zu trinken.
»Erinnerst du dich noch an mein kleines Mädchen. Tja, sie ist erwachsen geworden, und nun werden sie und Emma …«, sie beugte sich zu Jenny hinüber und senkte die Stimme zu einem dramatischen Flüstern, »… Fotomodelle. Giulio Fellice hat gerade ihre Präsentationsmappen zusammengestellt, und ich habe mich gefragt … Joanna, mein Kind, wo ist denn das Buch?«
Sie wedelte Joanna mit den Händen vor der Nase herum, und ihre Wangen waren vor Aufregung gerötet.
»Giulio!«, stellte Jenny beeindruckt fest.
Jo errötete, als die fremde Frau sie und Emma prüfend musterte und sich dann wieder an Nina wandte. Sie fühlte sich ein wenig wie ein Pferd auf einer Auktion. Sie wickelte sich eine blonde Haarsträhne um den Finger und beobachtete die auf dem Platz herumstolzierenden Tauben.
»Du hast dich kein bisschen verändert. Wie lange ist es her?«, fragte Jenny mit fröhlich funkelnden Augen.
»Zu lange, um nachzurechnen«, entgegnete Nina rasch. »Wir waren zusammen auf der Highschool. Und dann hattest du die Idee, weltweit Bademoden zu vertreiben«, meinte sie, halb an Jenny, halb an die Mädchen gewandt. »Damals haben wir dich alle für verrückt erklärt, aber du hast es geschafft. Australien ist so stolz auf dich, und wir haben uns jedes Jahr Weihnachtskarten geschrieben.«
»Sind Sie etwa die Jenny Cooper von Paradise-Bademoden?«, flüsterte Jo ehrfürchtig.
Sie fragte sich langsam, ob es jemanden in der Welt der Mode gab, den ihre Mutter nicht kannte. Nina hatte ihr und Emma die Badeanzüge in einer der Modezeitschriften gezeigt, die in Pierrefeu überall herumlagen.
»Genau die bin ich«, erwiderte Jenny grinsend und schob mit dem
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