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Wohin der Wind uns trägt

Wohin der Wind uns trägt

Titel: Wohin der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne McCullagh Rennie
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ab.
    Jo war überrascht, wie erschöpft sie sich fühlte, als sie das Fotostudio verließ und in die Garderobe ging. Nach ihr war Emma an der Reihe.
    »Es ist ein wirklicher Glücksfall, dass ihr beide euch kennengelernt habt«, flüsterte Nina Jo zu und tätschelte ihr die Hand, während Mutter und Tochter zusahen, wie Giulio Emma fotografierte. »Emma ist das geborene Fotomodell und kennt sich offenbar sehr gut aus. Was hat sie vorhin noch über die Fotos gesagt? … Moment mal … ›Die Präsentationsmappe zeigt die Leidenschaft und Hingabe eines Models.‹ Das gefällt mir. Emma ist für ihr Alter sehr vernünftig. Lerne von ihr, so viel du kannst, Kind …«
    Sie griff über den frisch zubereiteten Cappuccino hinweg, der neben ihr stand, und nahm sich ein Stück Mandelkuchen von dem eleganten Porzellanteller.
    »Mum«, stöhnte Jo und pflückte ein kandiertes Fruchtstück aus ihrer Kuchenscheibe. Ihre Freude über ihre eigenen Gehversuche war mit einem Mal wie weggeblasen. Ninas Worte hatten ihr das Gefühl vermittelt, absolut unfähig zu sein.
    »Sei doch nicht so empfindlich, Jo. Das soll nicht heißen, dass du unreif bist. Aber Australien ist so weit ab vom Schuss … Offenbar werden europäische Mädchen schneller erwachsen.« Wieder tätschelte sie Jos Hand. »Du kannst ihr auch eine Hilfe sein. Du sprichst viel besser Französisch und bist mindestens genauso hübsch.«
    Nina fand Emma zwar sehr nett, sah aber auch, wie Jo von einer engen Zusammenarbeit mit ihr profitieren konnte. Dank der guten Beziehungen würden Emmas Ehrgeiz und ihre Schönheit den beiden viele Türen öffnen. Doch Jo besaß zudem den Vorteil, dass sie die frische Ausstrahlung hatte, die bei Moderedakteurinnen so beliebt war.
    Jo kämpfte gegen die Verzweiflung an, die sie zu überwältigen drohte, während ihre Mutter unbeirrt weiterplapperte. Hatte sie wirklich geglaubt, sie würde ein anderer Mensch werden, nur weil sie beschlossen hatte, gute Miene zum bösen Spiel zu machen? Je länger sie Emma beobachtete, desto mehr fühlte sie sich wie ein Trampel. Emma schien es überhaupt nichts auszumachen, fotografiert zu werden. Sie wirkte wie eine erwachsene Frau. Wie ein schöner Schmetterling, der sich aus seiner Puppe befreit. Ihre Bewegungen wurden immer sicherer, ihre Augen strahlender, und es ging ein Leuchten von ihr aus, das Jo noch nie zuvor erlebt hatte. Sie war aber nicht neidisch, sondern befürchtete eher, ihre Freundin und Vertraute an diese selbstbewusste Fremde zu verlieren.
    Die beiden Mädchen posierten in den nächsten Tagen lächelnd vor Mailands berühmten antiken Gebäuden und Statuen. Jos Stimmung sank allmählich auf einen Tiefpunkt. Doch als sie dann die Ergebnisse von Giulios Arbeit sichteten, sein Talent bewunderten und sich kichernd über einige von der Kamera festgehaltene seltsame Grimassen amüsierten, legten sich Jos Befürchtungen ein bisschen, und ihre Laune besserte sich. Emma war immer noch die Freundin, mit der sie sich Skirennen geliefert hatte und an Bergbächen entlanggeritten war, die Person, der sie ihre innersten Geheimnisse anvertrauen konnte. Die gemeinsame Englandreise war schließlich nur aufgeschoben, nicht aufgehoben.
    Nachdem sie beschlossen hatten, in einem Lokal an der nur einige Straßen entfernten Piazza del Duomo zu feiern, traten sie in den kühlen Aprilmorgen hinaus und schlenderten durch die schmalen, kopfsteingepflasterten Straßen. Das Klappern ihrer Absätze hallte zwischen den Gebäuden aus grauem Stein wider. Aus den benachbarten Straßen wehten Stimmen hinüber, als Hausfrauen und Ladenbesitzer sich in melodiösem Italienisch etwas zuriefen. Junge Männer auf Motorrollern sausten an ihnen vorbei, und man hörte das Quietschen ihrer Reifen noch, wenn sie schon längst verschwunden waren. Andere Jugendliche lehnten rauchend und plaudernd an den feuchten Mauern, und manche pfiffen den drei Frauen nach, als sie vorbeigingen. Aus den Türen winziger Restaurants wehten Küchengerüche und Zigarettenrauch. Jos Magen begann zu knurren.
    In ihrer Freude, das Fotografieren überstanden zu haben, machte sie den Fehler, den Passanten zuzulächeln. Bald wurden sie von einer Gruppe junger Italiener verfolgt. Einer von ihnen kniff Emma frech in den Po, und diese stieß einen Schrei aus und brüllte das einzige ihr bekannte italienische Schimpfwort. Danach setzten die drei Frauen ihren Weg rasch fort. Sie durchquerten einen Park und steuerten, beinahe im Laufschritt, auf den Platz zu. Nina,

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