Wohin der Wind uns trägt
Preise und Informationen für die Veröffentlichung in der Zeitschrift zu erfragen.
»Sie müssen mir ein paar weinrote Wildlederschuhe besorgen«, verkündete Jutta und wies auf den Farbton des Schals, den sie ausgesucht hatte. »Versuchen Sie es bei Henri. Wenn er keine hat, telefonieren Sie die anderen Designer ab. Nehmen Sie mein Auto, damit kriegt man leichter einen Parkplatz.« Sie stand auf, zündete sich eine Zigarette an und betrachtete ihr Werk.
Jo hastete zu ihrem Schreibtisch, um die von Jutta auf Zettel gekritzelten Telefonnummern zu durchforsten. Einige Telefonate später hatte sie eine Liste möglicher Anbieter vor sich liegen. Sie eilte aus dem Büro, raste in Juttas winzigem Fiat quer durch Paris zu Henris Lager und kehrte zwei Stunden später mit den dringend benötigten Schuhen zurück.
Während sie die Sohlen der Schuhe mit Klebeband schützte, damit sie noch verkauft werden konnten, betrachtete sie den Strom der Bewerberinnen von den Modellagenturen, die von Jutta gemustert wurden wie Kühe auf dem Viehmarkt. Dabei wuchs ihre Enttäuschung. Ihr gefiel es zwar, diese Seite der Modeindustrie kennenzulernen und ein festes Gehalt zu bekommen, aber ihr Assistentenjob brachte sie in ihrer Modellkarriere nicht weiter. Sie würde sich wohl doch wieder an Jean François wenden müssen, der ihr zutiefst zuwider war. Und um das Maß vollzumachen, reichte Brigitte, eine arrogante, gertenschlanke Brünette, für die Jutta sich schließlich entschieden hatte, Jo einfach ihre halb gerauchte Zigarette, damit sie in eines der Kostüme schlüpfen konnte. Jo blieb nichts anderes übrig, als die Kippe entgegenzunehmen.
Die Aufnahmen sollten in einem Studio eine kurze Autofahrt entfernt von der Redaktion stattfinden. Nachdem Jo Sofas, eine Leiter und verschiedene andere Requisiten beschafft hatte, verbrachte sie den restlichen Tag damit, im Schweiße ihres Angesichts Kleiderständer in Aufzüge zu schieben, Brote zu schmieren, Kaffee zu kochen und für Jutta und den Fotografen Zigaretten und andere in letzter Minute benötigte Kleinigkeiten zu organisieren.
»Beim nächsten Mal müssen Sie Brigitte mehr beim Umziehen helfen und ein wenig netter zu ihr sein. Sie wird in letzter Zeit nämlich immer wählerischer, und ich würde sie gern weiter einsetzen«, sagte Jutta zu Jo, als diese sich am Ende eines anstrengenden Tages im Studio auf einen Stuhl fallen ließ. »Und holen Sie mir ein Glas Wein. Mon Dieu, was für ein Tag!«
Sie zündete sich eine Zigarette an, kippte den Rotwein hinunter, den Jo ihr reichte, und sah ihre Notizen durch.
»So, das wäre erledigt. Wir sehen uns morgen in aller Früh.« Mit einem lauten Knall klappte sie ihr Notizbuch zu. Kurz darauf erhob sie sich, zog den Mantel an, verschwand und überließ es Jo, abzuwaschen und das Studio aufzuräumen.
Jo setzte sich, stützte das Kinn in die Hand und betrachtete die Kaffeetassen und überquellenden Aschenbecher. Im Hinterzimmer packte der Fotograf klappernd seine Gerätschaften zusammen und kontrollierte mit seinem Assistenten einige Filme.
Heute hatte Jutta einen schlechten Tag gehabt, nur herumgeschrien und drei der Mädchen zum Weinen gebracht. Der Haarstylist hatte einen Tobsuchtsanfall erlitten, weil er einen Kamm vermisste, und Jo war ihrem Ziel, selbst als Modell zu arbeiten, keinen Schritt näher gekommen. Denn aus Angst, die Stelle bei Elegance Internationale zu verlieren, ihre einzige Einkommensquelle, wagte sie nicht, die gelegentlichen, schlecht bezahlten Jobangebote anzunehmen, die Jean François ihr gnädigerweise zukommen ließ. Vom Herumschieben der Kleiderständer taten ihr Rücken und Beine weh, und sie hatte die Nase voll von oberflächlichen Zicken, die sie wie Luft behandelten. Außerdem sehnte sie sich nach einer heißen Dusche. Während sie sich streckte, aufstand und mit dem Aufräumen begann, fragte sie sich, ob es nicht an der Zeit war, den Kram hinzuwerfen.
»Halt noch ein bisschen durch, chérie. Du wusstest, dass es kein Zuckerschlecken wird«, meinte Jenny aufmunternd beim Abendessen.
Inzwischen hatte sich Jos Frust nach einem langen heißen Bad ein wenig gelegt, sodass sie Jenny ihr Herz ausschütten konnte.
»Das ist alles nur Theater. Die meisten Models haben solche Angst, keine Aufträge mehr zu bekommen oder zuzunehmen, dass sie nur noch um sich selbst kreisen. Du stellst sie alle in den Schatten. Irgendwann ergibt sich die richtige Gelegenheit. Du musst nur dranbleiben.«
Jo betrachtete das
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