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Wohin der Wind uns trägt

Wohin der Wind uns trägt

Titel: Wohin der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne McCullagh Rennie
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Kaffee für alle zu kochen. Brigitte war zwar eine grässliche Zicke, aber sie verstand sich gut mit André und Fifi, der Haarstylistin. Also würde der Tag zwar lang, aber einigermaßen erträglich werden.
    Am anderen Ende der Brücke baute der Fotograf seine Ausrüstung auf, während sein Assistent die Positionen für das Modell mit Klebeband markierte.
    »Kaffee, Jo. Und dann helfen Sie André, alles für Brigitte vorzubereiten«, befahl Jutta, als Jo mit den dampfenden Pappbechern erschien. »Gaston!«, brüllte sie auf einmal. Aus der Dunkelheit schälten sich zwei Gestalten. Jutta riss Jo einen Becher aus der Hand und hastete auf den Fotografen zu. Mit der freien Hand schwenkte sie ihren Notizblock, ihr beiger Mantel wehte hinter ihr her.
    »Geben Sie mir das, wir haben noch jede Menge Zeit«, meinte André ruhig und griff sich einen Keks.
    Nachdem er Jo von drei Bechern befreit hatte, schlenderte er die Brücke entlang. Er nahm Juttas übertriebene Hetzerei schon längst nicht mehr ernst, und außerdem wirkte das Mädchen völlig übermüdet. Als er zurückkam, lächelte Jo ihm dankbar zu. Inzwischen hatte sie sich vergewissert, dass alle Kleider auf ihren Bügeln hingen und sämtliche Accessoires bereitlagen. Dann ging sie zu André hinüber, der am Brückengeländer lehnte.
    »Es ist wunderschön um diese Tageszeit, finden Sie nicht?«, murmelte er.
    Jo schloss die Hände um ihren Becher und nickte. Nach dem ersten Schluck der heißen Flüssigkeit fühlte sie sich besser. Zusammen sahen sie zu, wie über Paris der Tag anbrach. Der zarte Dunst über dem Wasser löste sich allmählich auf. Boote, Häuser und erleuchtete Fenster schälten sich aus dem Schatten.
    Jutta hatte mit Gaston die Aufnahmen besprochen und kam zurückgehastet.
    »Ist Brigitte schon da?«, fragte sie bemüht ruhig und drückte Jo ihren leeren Becher in die Hand.
    Fotos von Brigitte trieben die Verkaufszahlen in die Höhe, und da die Zeitschrift dringend auf eine Auflagensteigerung angewiesen war, hatte Jutta trotz des Redaktionsschlusses darauf bestanden, dieses Modell anzuheuern. Außerdem mochte sie das Mädchen. Allerdings wurde Jutta vor großen Fototerminen stets nervös, und diesmal ging es immerhin um eine achtseitige Fotostrecke. Auch befürchtete sie, Gaston zu verärgern. Schon seit Monaten bemühte sich Jutta, den international anerkannten Fotografen für die Zeitschrift zu gewinnen. Das hatte sie viel Beharrlichkeit und Überredungskunst gekostet, und morgen wurde er bereits in New York erwartet.
    Jutta sah auf die Uhr und blickte zum Himmel hinauf.
    »Wo steckt das Mädchen bloß? Gaston wollte das frühe Morgenlicht nutzen«, sagte sie ärgerlich.
    Dreißig Minuten, drei Tassen Kaffee und ein halbes Päckchen Zigaretten später war von Brigitte noch immer nichts zu sehen. Inzwischen nahm der Verkehr auf der Brücke zu. Autos stießen Abgaswolken aus. Fußgänger eilten vorbei und bedachten das verloren herumstehende Trüppchen mit neugierigen Blicken. Mit klammen Fingern zündete Jutta sich erneut eine Zigarette an und befahl Jo, die Agentur anzurufen.
    »Vielleicht ist sie krank geworden. Dann brauche ich dringend Ersatz«, meinte sie und fragte sich, welches der Stammmodelle wohl kurzfristig einspringen konnte. Sie warf einen besorgten Blick auf Gaston, der, die mageren Schultern hochgezogen und die Hände tief in den Manteltaschen vergraben, auf den Fluss hinausstarrte.
    Jo rannte zur nächsten Telefonzelle, während die ersten hellen Sonnenstrahlen durch die dahineilenden Wolken drangen. Die Minuten vergingen. Selbst wenn Brigitte noch erschien, würde es mindestens zwei Stunden dauern, sie für die Aufnahmen vorzubereiten – und der Wetterbericht hatte für den späteren Tag Regen vorhergesagt.
    Die Agentur bestätigte, Brigitte habe sich gemeldet und versprochen, zum Termin zu erscheinen. Man versicherte Jo, das Modell werde jeden Moment da sein. Inzwischen wirkte Gaston eindeutig verärgert, und Jutta stand die Nervosität ins Gesicht geschrieben.
    »Das ist unglaublich«, rief sie und riss zornig das dritte Zigarettenpäckchen auf.
    Jo sah sich schon erneut unterwegs zur Telefonzelle, um ein anderes Modell anzufordern, da näherte sich ein Taxi. Sie lief auf den Wagen zu und riss die Tür auf. Erschrocken schnappte sie nach Luft, als ihr der Geruch von Bourbon-whiskey und Rasierwasser entgegenschlug. Brigitte, in ein zerknittertes weißes Abendkleid gehüllt und ein Herrensakko lässig um die Schultern geschlungen,

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