Wohin der Wind uns trägt
wieder bei der Agentur, aber sie hatten nichts für mich », meinte Jo bemüht fröhlich und legte die Salatköpfe auf das Abtropfbrett neben das schmutzige Frühstücksgeschirr. »Jean François war sogar ausgesprochen unhöflich, was meine Stimmung nicht unbedingt verbessert hat. Außerdem vermisse ich Emma schrecklich«, gab sie zu.
Jean François hatte sich zwar vor Begeisterung förmlich überschlagen, solange Nina in Paris war, Jo aber heute Morgen barsch abgekanzelt, als sie sich nach dem zugesicherten Auftrag erkundigte. Er meinte, sie müsse zuerst abnehmen und vier Zentimeter wachsen, und außerdem habe er nichts zu verschenken. Entrüstet war Jo aus seinem Atelier gestürmt und hatte sich beim Einkaufen auf dem belebten Markt abreagiert.
»Jean François ist ein Idiot«, rief Jenny und verstreute dabei Stecknadeln überall in der Küche. »Er ist ein unbedeutender Schleimer und soll sich wieder unter dem nächsten Blatt verkriechen. Damals hat er seinen Job nur bekommen, weil ich mit Veronique gesprochen habe«, fuhr sie fort, raffte ihren Rock und kroch unter den Tisch.
»Er wackelt mit dem Po«, kicherte Jo und bückte sich, um ihr beim Aufheben der Nadeln zu helfen. Schlagartig fühlte sie sich besser. Wenn sie in Zukunft mit diesem Menschen reden musste, würde sie ihn sich als schleimiges Kriechtier vorstellen.
Als sie und Emma mit Nina in Paris eingetroffen waren, hatte Jenny sie vor den Schwierigkeiten gewarnt. Die beiden Mädchen hatten zwar durch Ninas und Jennys Beziehungen einige kleine Aufträge erhalten, doch letztendlich würde es von ihrem Aussehen und ihrer Beharrlichkeit abhängen, ob sie Karriere als Fotomodelle machten. Da Jo kleiner war als bei Mannequins üblich, hatte sie nur einen einzigen Fototermin in vier Wochen ergattert. Emma, die sie ein gutes Stück überragte, bekam hingegen sofort eine Reihe kleinerer Aufträge. Zurzeit war sie zu zweiwöchigen Fotoaufnahmen nach Florenz gereist, und man hatte ihr weitere Einsätze in Aussicht gestellt.
»Sie wollen nur mit Mädchen arbeiten, die bereits erfolgreich sind«, erklärte Jenny und kauerte sich auf die Fersen. »Das ist wie mit der Henne und dem Ei. Wenn man erst oben ist, reißen sich alle um einen, aber bis dahin wird man behandelt wie Luft. Ich persönlich glaube, dass du es schaffen wirst. Und deshalb möchte ich, dass du bei meiner nächsten Modenschau dabei bist. Leider hat dieser grässliche kleine Jean François recht: Deine Größe ist ein Problem. Emma hat den Job in Florenz nicht wegen ihres Aussehens bekommen, sondern weil sie groß genug ist.«
Jo lief feuerrot an.
»Ich bin nicht neidisch auf Emma. Ich vermisse sie bloß.« Jo richtete sich zu rasch auf, stieß sich den Kopf an der Unterseite des Tisches und fluchte kräftig auf Französisch. Sie stammelte eine Entschuldigung, lief zum Waschbecken und stürzte sich eifrig auf den Abwasch. Auf einmal wünschte sie sich weit fort von Paris.
Jenny legte ihre Stoffmuster auf den unbehandelten Holztisch, breitete sie aus und unterzog sie einer gründlichen Musterung.
»Ich weiß, dass du sie vermisst, chérie«, erwiderte sie freundlich und schenkte sich eine Tasse Kaffee ein.
Dann zog sie den Stift aus ihren Haaren, um sich ein paar Notizen auf die braune Papiertüte zu machen, in der das Brot verpackt gewesen war. Anschließend verstaute sie den Stift wieder in ihren Haaren und fing an, die Stoffstücke zusammenzustecken.
»Du müsstest bei einer Kosmetikfirma anheuern. Da würde deine Größe keine Rolle spielen.«
»Mum möchte das auch«, sagte Jo bedrückt. »Aber wie soll ich das Gesicht werden, das für die neueste Wundercreme wirbt? Dazu muss man bereits ein Filmstar oder ein erfolgreiches Fotomodell sein, sonst würdigen die einen doch keines Blickes. Und damit wären wir wieder bei dem Problem, dass ich zu klein bin.«
»Nichts auf der Welt ist es wert, dass man sich deshalb so die Stimmung verderben lässt«, wandte Jenny vergnügt ein. »Warum versuchst du es nicht mit einer anderen Methode? Ruf ein paar Zeitschriften an und frage, ob vielleicht eine Stelle als … als Assistentin der Garderobiere frei ist«, schlug sie fröhlich vor.
Als sie mit den Händen fuchtelte und das richtige englische Wort suchte, hätte sie fast wieder die Schachtel mit den Stecknadeln umgestoßen.
»Mein Gott, ich habe seit einer Ewigkeit nicht mehr so viel Englisch gesprochen. … Oder versuche es in der Make-up-Redaktion. Du könntest dich auch als Mädchen für
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