Wohin der Wind uns trägt
trat barfuß auf das Kopfsteinpflaster. Auf unsicheren Beinen machte sie einen Schritt vorwärts, griff nach der Tür, fasste daneben und erwischte stattdessen Jos ausgestreckte Hand.
»Ach! Die liebe kleine Assistentin«, höhnte sie und sah Jo herablassend aus glasigen Augen an. Die verschmierte Wimperntusche betonte die verquollenen und geröteten Augen. Ihr braunes, von einer riesigen Silberspange zusammengehaltenes Haar wirkte strohig, und es war offensichtlich, dass sie geweint hatte.
Dicht gefolgt von André und Fifi, kam Jutta angelaufen. »Brigitte«, rief sie erleichtert aus und schlug im nächsten Moment erbleichend die Hand vor den Mund.
»Oh, mon Dieu! Mon Dieu!« Ihr Entsetzen verwandelte sich in Panik. »André, gehen Sie mit ihr in den Wagen und richten Sie sie her. Fifi …« Sie schob die Haarstylistin zum Transporter.
»Hallo, Jutta.« Brigitte lächelte reizend.
Dann bahnte sie sich einen Weg durch die Umstehenden, ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen, und schwankte auf den Fotografen zu.
»Gaston, liebster, bester Gaston …« Als sie ihm um den Hals fallen wollte, stolperte sie und stürzte gegen einen der Reflektoren, der umkippte. Die silberne Haarspange löste sich, und ihre zerwühlten Locken hingen ihr wild um den Kopf. Jo stürmte auf sie zu. Dabei stieß sie fast mit Gastons Assistenten zusammen, der den Reflektor retten wollte. Währenddessen wich Gaston empört zurück und wandte sich an Jutta.
»Soll das ein Scherz sein?«, schimpfte er. »Was bildet sich dieses Mädchen eigentlich ein, in diesem Zustand hier aufzukreuzen? Sie verschwenden meine wertvolle Zeit. Ich, Gaston Manoir, bin auf der ganzen Welt ein gefragter Mann … Wir werden zwei Stunden brauchen, um sie auszunüchtern, und noch mindestens zwei weitere, damit sie vorzeigbar aussieht – wenn bei diesem Gesicht überhaupt noch etwas zu retten ist.« Verzweifelt rang er die Hände und verdrehte die Augen.
»Glauben Sie, ich mache so etwas mit Absicht?«, rief Jutta peinlich berührt aus. Ihr Gesicht zeigte mittlerweile ernste Anzeichen von Erschöpfung. Wütend drehte sie sich zu Brigitte um. »Wie können Sie es wagen, so zu einem Termin zu erscheinen, mein Kind! Sie sind gefeuert. Sie werden in Paris keinen Fuß mehr auf den Boden bekommen.«
Gaston begann, seine Ausrüstung zusammenzupacken. Da dämmerte ihr, dass der gesamte Fototermin im Begriff war zu platzen.
»Nein, Gaston, bitte warten Sie«, rief sie, den Tränen nah. »Wir sind doch beide kreative Menschen, und uns wird etwas einfallen. Sie wissen, was es für Elegance bedeutet, Sie mit an Bord zu haben. So etwas ist mir noch nie im Leben … Ich muss mich an einen Redaktionsschluss halten. Ich besorge ein anderes Mädchen.« Unsicher bot sie ihm eine Zigarette an.
»Und dann beginnen wir nach Sonnenuntergang mit dem Fotografieren! Wenn Sie Ihre Mädchen nicht im Griff haben, ist das nicht mein Problem«, entgegnete Gaston barsch.
Wortlos hob Jo die Haarspange auf und führte Brigitte zurück auf den Gehweg. Sie konnte kaum fassen, dass ein erfolgreiches Fotomodell wie sie so gedankenlos ihre Karriere aufs Spiel setzte.
»Er ist verheiratet. Verheiratet! Wie konnte ich nur so blöd sein?«, verkündete Brigitte. Sie riss sich von Jo los, begann zu kichern und brach im nächsten Moment in Tränen aus.
Jo hielt ein Taxi an, verfrachtete das schluchzende Mädchen hinein, bezahlte den Fahrer und gab ihm die Adresse der Agentur. Dann kehrte sie widerstrebend zu Jutta zurück, die noch immer mit Gaston verhandelte. Die frühe Morgensonne hatte sich längst verflüchtigt. Es war zwecklos, ein anderes Mädchen anzurufen.
Ärgerlich an seiner Zigarette ziehend und mit finsterer Miene starrte Gaston Jo an und bemerkte die Enttäuschung in ihren auffälligen Augen. Rasch wandte Jo sich ab. Ihr wurde ganz heiß, als sie Gastons forschenden Blick auf sich spürte, der langsam über ihr Gesicht und ihren Körper glitt. Seine Miene änderte den Ausdruck, und er musterte Jo interessiert, während Jutta unbeirrt weiterplapperte.
»Schauen Sie mich noch einmal so an«, befahl Gaston und drehte Jos Gesicht in seine Richtung, ohne auf Jutta zu achten. Jo errötete noch heftiger und schenkte ihm einen Blick aus ihren violetten Augen. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, und der Pulli war ihr auf einmal viel zu warm.
»Formidable!«, rief Gaston und wandte sich begeistert an Jutta. »Warum haben Sie mir nicht gleich ein Mädchen besorgt, das ein Gesicht und eine
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