Wohin der Wind uns trägt
leuchteten.
»Es ist so schön, einfach nur man selbst sein zu dürfen«, juchzte Jo, schleuderte eine Hand voll Schnee in die Luft und fischte Schneebröckchen aus ihrem Kragen. »Ach, Emma, danke, dass du mich eingeladen hast.«
»Ich finde es schön, eine Freundin zu haben«, erwiderte Emma, plötzlich schüchtern. »Weil Mummy und Daddy immer in der Weltgeschichte herumreisen, war ich meistens auf mich allein angewiesen. Tante Sarah ist zwar ein Schatz, aber es ist trotzdem nicht dasselbe … An Weihnachten habe ich die beiden wirklich vermisst.«
Sie warf Churchill einen Schneeball zu.
»Heute Abend wird es sicher lustig«, wechselte sie, vergnügt wie immer, das Thema. Aus ihren Manteltaschen förderte sie einige trockene Kekse zutage, die sie an die hechelnden Hunde verfütterte.
Jo betrachtete ihre Freundin und dachte nicht zum ersten Mal, dass sie selbst von ihnen beiden das einfachere Leben hatte. »Du musst mir noch einmal erklären, wer heute Abend alles kommt, damit ich mir wenigstens ein paar Namen merke«, sagte sie, während Winston sich in einen jungfräulichen Schneehaufen fallen ließ.
Die große Standuhr schlug Viertel nach sieben, und Jo zog den langen Mantel über das schwarze Kleid, das sie zu Jennys Party getragen hatte. Sie sah eher aus wie neunzehn als wie siebzehn, als sie neben Emma auf dem Rücksitz des Mercedes Platz nahm, die ein Kleid aus grünem Knautschsamt trug. Nachdem Tante Sarah beifällig genickt und Charles eine aufmunternde Bemerkung gemacht hatte, brachen die vier auf nach Shelsey Manor, zum wunderschönen alten Landsitz der Hiscott-Halls. Wegen Sarahs strenger Einstellung zu Pünktlichkeit und gutem Betragen waren sie unter den ersten Gästen.
Jo wurde offiziell vorgestellt, bekam ein Glas Orangensaft in die Hand gedrückt und wurde zu ihrer Verlegenheit dazu verdonnert, mit Frances Hiscott-Halls altem, sehr schwerhörigen Vater und einer albernen kleinen Frau, die ein viel zu tief ausgeschnittenes geblümtes Kleid trug, Konversation zu betreiben. Letztere erklärte Jo ausführlich, sie sei bei einem Anwalt am Ort tätig, der den Betreiber des Lokalsenders beriet, welcher sicher auch zu der Feier erscheinen werde.
Frances, die die beiden Mädchen absichtlich getrennt hatte, entführte Emma ans gegenüberliegende Ende des Raums zu einer anderen Gruppe von Gästen, während Sarah das Buffet in Augenschein nahm.
Obwohl Frances zu Anfang als Neureiche verspottet worden war, zeugte das Haus von ihrem guten Geschmack und ihrer Liebe zu schönen Dingen. Die große Eingangshalle war mit Antiquitäten und eleganten Kunstobjekten ausgestattet, und die schweren roten Samtvorhänge im geräumigen Wohnzimmer passten ausgezeichnet zu dem dicken Perserteppich.
Für Jos Gefühl war der Raum riesig und viel zu ruhig. Ihre eigene Stimme klang ihr laut in den Ohren, während sie sich bemühte, die schleppende Konversation in Gang zu halten. Sie zermarterte sich gerade das Hirn auf der Suche nach einem Gesprächsthema, da fiel ihr Blick auf die prachtvolle, mit Gold und Türkisen verzierte antike französische Uhr auf dem mächtigen marmornen Kaminsims. Flankiert von zwei kunstvoll gestalteten Kaminböcken in Form fliegender Adler, erwärmte das lodernde Feuer des Kamins den Raum und tauchte die geschwärzten Metallteile in einen rötlichen Schein. Jo wünschte sich sehnlich Mitternacht herbei, während nach und nach die anderen Gäste eintrafen.
Gerade erklärte sie zum dritten Mal, dass sie mit zwei Hunden und nicht mit dem ehemaligen britischen Premierminister spazieren gewesen sei, als es in der Vorhalle laut wurde, und alle Augen sich zur Tür wandten. Ein leicht übergewichtiger Mann von Mitte vierzig, mit gerötetem Gesicht, kam herein, laut lachend über einen Scherz von Frances, schritt über den Perserteppich und strich sich die Schneeflocken aus dem dichten hellbraunen Haar. Er wurde von einer elegant gekleideten, etwa zehn Jahre jüngeren Frau begleitet. Sie schienen den leeren Platz im Raum zu füllen. Jo war sicher, die beiden schon einmal gesehen zu haben, konnte sie jedoch nicht einordnen.
»Und das ist unsere australische Besucherin Joanna Kingsford. Sie wohnt bei Sarah und Emma im ›Krähennest‹«, erklärte Frances und schob die beiden zu Jo hinüber. Ihr streng geschnittenes Kostüm raschelte bei jeder Bewegung. »Jo und Emma sind gerade im Begriff, erfolgreiche Fotomodelle zu werden. Sie wissen doch, dass das schon immer Emmas sehnlichster Berufswunsch
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