Wohin der Wind uns trägt
Sie brauchen sich nicht bei mir zu entschuldigen«, erwiderte Jo, froh, ein unverfängliches Thema gefunden zu haben. »Warten Sie, ich nehme ihn ab, damit Sie ihn nicht ganz verlieren. Ist der andere auch locker?«
Sie entfernte die Manschettenknöpfe und reichte sie ihm. Als ihre Finger sich berührten, durchfuhr ein Schauer ihren Körper. Jo musste ein Aufstöhnen unterdrücken.
»Danke«, sagte Simon rasch und steckte die Manschettenknöpfe in die Jackentasche. »Schwören Sie, es niemandem zu verraten«, flehte er und schob die Manschetten wieder unter die Jackenärmel. »Schließlich gehört es sich nicht, halb angezogen zu einer Einladung bei Frances zu erscheinen«, meinte er grinsend, und in seinen Augen funkelte es spitzbübisch.
Jo lächelte ihm verschwörerisch zu. Der Duft seines Rasierwassers stieg ihr in die Nase und beschleunigte ihren Pulsschlag.
»Nur, wenn Sie niemandem sagen, dass ich literweise Hiscott-Punsch getrunken habe.«
»Ich werde schweigen wie ein Grab«, flüsterte er ihr ins Ohr.
»Ach, da bist du ja, Si. Ich habe dich überall gesucht«, erklang plötzlich eine schrille Frauenstimme.
Wie zwei schuldbewusste Kinder fuhren Jo und Simon auseinander. Jo sah sich um und stand vor einer hochgewachsenen, einer Göttin gleichenden Gestalt in einem metallisch schimmernden grauen Kleid, das ihre überaus schlanke Figur umschmeichelte. Die Fremde schwebte auf sie zu, wobei der kurze Rock den Blick auf lange, wohlgeformte Beine freigab. In diesem Kleid war Jo vor Kurzem für Harper’s Bazaar fotografiert worden.
Jo schätzte die Trägerin auf Anfang zwanzig. Ein wahrer Heiligenschein aus weichem blondem Haar umrahmte ein zartes herzförmiges Gesicht mit einem klassisch englischen, rosigen Teint und makellos geformten roten Lippen. Jo konnte nicht anders, sie musste die ausgezeichnete Haltung und die Schönheit der jungen Frau bewundern. Alle Augen folgten ihr, als sie auf Simon zuging und ihn am Arm nahm, ohne Jo eines Blickes zu würdigen.
»Na, willst du mir nicht verraten, wo du gesteckt hast, Liebling? Ich habe mir solche Sorgen gemacht«, schmollte sie und klammerte sich an ihn. Ihre kühlen grauen Augen waren stark geschminkt, und sie hüllte die Umstehenden in eine Wolke von Chanel No. 5.
»Auf der A40 war starker Nebel. Ich dachte schon, ich würde gar nicht mehr ankommen, aber hinter Cheltenham wurde es besser«, erklärte Simon leicht verlegen.
Sanft schob er die Hand der jungen Frau weg und tätschelte sie wie die Pfote eines unartigen Welpen.
»Das ist Jo Kingsford, eine Freundin von Emma und auch Fotomodell. Deine Mutter hat von ihr erzählt. Sie ist drüben im ›Krähennest‹ zu Besuch.« Sein Lächeln erhellte den ganzen Raum, als er den Arm ausbreitete, um Jo in das Gespräch einzubeziehen.
Die Göttin schenkte Jo ein süßliches Lächeln.
»Fotomodelle haben mich schon immer fasziniert, aber finden Sie es nicht ein wenig gewöhnlich, Ihr Aussehen für Geld zu verkaufen? Das ist doch eigentlich nur einen kleinen Schritt von Prostitution entfernt«, merkte sie lässig an.
»Wie bitte?«, stieß Jo empört hervor. Ihre Augen funkelten empört über diesen Überraschungsangriff.
Sofort schlug die junge Frau die Hand vor den Mund.
»Hoppla, habe ich da etwas Falsches gesagt?«, flötete sie und sah Simon Hilfe suchend an. »Ach, Sie sind auch Fotomodell … Das tut mir aber leid, ich wollte nicht unhöflich sein. Natürlich habe ich Sie nicht persönlich gemeint. Genau genommen bewundere ich Sie sogar. Sie müssen sicher sehr diszipliniert sein, um sich nur von Stangensellerie und Salat zu ernähren.«
Jo, die von der Begegnung mit Simon noch immer wackelige Knie hatte, trat verlegen von einem Fuß auf den anderen.
»Jo sieht doch wohl nicht so aus, als würde sie nur von Salatblättern leben«, wandte Simon rasch mit einem Auflachen ein. Er klang ein wenig gereizt. »Ich besorge uns ein Glas Champagner.«
»Ach, du meine Güte, ständig trete ich ins Fettnäpfchen«, kicherte das Mädchen und lehnte sich verführerisch in Simons Richtung. Dieser machte sich jedoch auf die Suche nach einem Kellner. »Das muss am Punsch liegen. Ich weiß gar nicht, was sie da hineinschütten. Simon meint, für mich müsste es Fettnäpfchen in Übergröße geben.« Sie senkte die Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern und holte zum nächsten Seitenhieb aus. »Aber eines müssen Sie mir verraten: Werden die Fotos alle retuschiert, damit Sie darauf schlanker
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