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Wohin der Wind uns trägt

Wohin der Wind uns trägt

Titel: Wohin der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne McCullagh Rennie
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kleinen Nischen an der Treppe und im Korridor, der zu ihren Zimmern führte, erkannte Jo Kostbarkeiten wie französische Keramiken und orientalische Vasen und Krüge, alles liebevoll angeordnet. Im dritten Stock musste sie atemlos innehalten.
    »Das ist der sogenannte Kinderflügel. Du wohnst hier und ich gleich nebenan«, verkündete Emma und riss die Tür zu Jos Zimmer auf.
    Begeistert trat Jo in das große Zimmer mit der Dachschräge und sah sich um. In einer Ecke stand ein Waschtisch mit einem großen Porzellankrug. Das kleine Körbchen daneben war voller Tannenzapfen, und außerdem gab es noch ein Stück Seife auf einem Porzellanteller. Die weitere Möblierung bestand aus einem Bett und einem hohen Standspiegel. Die Tapete hatte ein Muster aus winzigen rosaroten Rosenknospen. Jo stellte ihr Gepäck ab und lief zum Fenster. Das Fensterbrett war mit Schnee bedeckt. Sie spähte in die Dämmerung hinaus und konnte einen Gemüsegarten und dahinter die grauen Umrisse eines Wäldchens erkennen. Es schneite immer noch.
    »Tante Sarah hat eine Schwäche für selbst angebautes Gemüse und würde nie etwas aus dem Laden anrühren«, erklärte Emma und wies auf dunkle, mit Schnee bedeckte Schatten, die wie Soldaten in Reih und Glied standen. »Siehst du das da? Das ist Tante Sarahs preisgekrönter Rosenkohl. Wollen wir wetten, dass es heute zum Abendessen welchen gibt? Das Bad ist am Ende des Flurs. Ich muss aus diesen Sachen raus, sie stinken nach der Zugfahrt. Bis gleich.«
    Jo lächelte zufrieden. Bereits nach zwanzig Minuten fühlte sie sich erholt.
    Das Abendessen, das in dem formell eingerichteten Esszimmer an einem langen, polierten Mahagonitisch eingenommen wurde, verlief ruhig und in angenehmer Atmosphäre. Tante Sarah erkundigte sich, was Emma in letzter Zeit so getrieben hatte, während Charles Jo alles über das Abhängen von Fasanen erzählte. Anschließend ließen sie sich mit einer Tasse Kaffee vor dem gemütlichen Kamin nieder, in dem die Tannenscheite knisterten, und Jo schlief zu ihrer großen Verlegenheit ein, sodass Emma sie wach rütteln und zu Bett bringen musste.
    Beim Aufwachen am nächsten Morgen hörte Jo die Krähen in dem nahe gelegenen Wäldchen krächzen und war sicher, dass sie seit Monaten nicht mehr so gut geschlafen hatte.
    »Heute Abend bleibst du aber wach. Wir sind nämlich zum Silvesterball bei den Hiscott-Halls eingeladen«, neckte Emma, die halb angekleidet ins Zimmer gelaufen kam.
    Sie hatte ihre Socken und einen dicken Pullover in der Hand und streifte sich gerade zitternd ein Polohemd über den Kopf, das sie in den Bund ihrer schwarzen Samthose steckte.
    Gähnend setzte Jo sich auf und zog die Daunendecke hoch bis zum Kinn. »Wer sind die Hiscott-Halls?«, fragte sie.
    Sie spürte die Kälte an der Nasenspitze und zögerte, ihr warmes, gemütliches Bett zu verlassen.
    »Freunde der Familie. Tante Frances ist mit Tante Sarah befreundet und eigentlich nicht meine richtige Tante. Sie hat aus erster Ehe drei Söhne, die Mitte zwanzig sind und unverschämt gut aussehen. Lelia stammt aus ihrer zweiten Ehe mit Sir William. Mum hat immer vermutet, das er sie wegen des Geldes und sie ihn wegen des Titels geheiratet hat. Tante Frances’ Vater hat Motoren für Rolls-Royce entwickelt und ein Vermögen damit verdient. Die Leute am Ort haben die Nasen gerümpft und sie als Neureiche bezeichnet, bis Tante Frances eine große Summe für die Renovierung der Kirche gespendet hat. Dann waren sie endlich ruhig. Sir William bin ich nie wirklich begegnet«, fuhr Emma, die Stimme gedämpft durch den Pullover, in den sie gerade schlüpfte, fort. »Er ist ein komischer Kauz und ziemlich eigenbrötlerisch und hat sich immer verdrückt, wenn ich mit Tante Sarah bei ihnen zu Besuch war. Ich habe ihn nur einmal kurz gesehen. Da hat er mir vom anderen Ende des Gewächshauses zugewinkt. Dann, als Lelia zwölf war, ist er mit einer Fünfundzwanzigjährigen durchgebrannt. Die arme Tante Frances war am Boden zerstört. Aber ich glaube, dass Lelia das gar nicht weiter aufgefallen ist. Sie ist einfach unbeirrt weiter in ihren Rüschenkleidchen herumgesprungen. Lelia ist vier Jahre älter als ich. Wir haben uns nie richtig verstanden. Sie hat nämlich eine hohe Quengelstimme und wollte mich immer herumkommandieren, als wir noch klein waren. Für mich war sie die größte Idiotin von ganz Worchestershire. Wir haben uns seit Jahren nicht gesehen, und ich weiß nicht, warum ich überhaupt von ihr rede. Ich wollte dir

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