Wohin der Wind uns trägt
angerichtet hast«, sagte er und fuhr davon.
Tränenblind wankte Jo in den Lagerraum und brach weinend auf dem Steinfußboden zusammen.
12
Jo wiegte sich hin und her, ohne die Kälte des Fußbodens zu spüren. Die Arme um die Knie geschlungen, weinte sie bitterlich, und ihr Körper wurde von heftigen Schluchzern geschüttelt. Es dauerte eine Weile, bis sie sich endlich beruhigte und das Zittern nachließ. Der Duft von frischem Hafer und Spreu stieg ihr in die Nase, durchdrang allmählich den Schleier, der sie umgab, und erinnerte sie daran, wo sie sich befand. Für gewöhnlich machte dieser Geruch Jo glücklich, doch im Moment herrschte nichts als abgrundtiefe Düsternis in ihrem Herzen. Ihre Augen brannten, und die Brust war ihr wie zugeschnürt. Als sie etwas Weiches an ihrem Bein spürte, hob sie betrübt den Kopf und betrachtete Puss, die Stallkatze, mit stumpfem Blick. Puss krümmte miauend den Rücken und rieb ihr flauschiges graues Fell an Jos Jeans. Ihre weiße Brust und ihr Bäuchlein leuchteten im Dämmerlicht. Jo wiegte sich weiter hin und her. Doch Puss ließ sich davon nicht abschrecken und sprang auf Jos Knie, wo sie geschickt balancierte und versuchte, sich an Jos Brust zu schmiegen. Dabei miaute sie noch lauter und beharrlicher und sah Jo aus großen grünen Augen eindringlich an. Seufzend hielt Jo inne, und ein trauriges Lächeln spielte um ihre Lippen.
»Du bist ganz schön hartnäckig«, sagte sie und streichelte die Katze. Sie streckte die Beine aus. Puss hörte sofort auf, sich zu beklagen, und machte es sich, nachdem sie sich dreimal um die eigene Achse gedreht hatte, auf Jos Schoß gemütlich. Dann fing sie laut an zu schnurren und bearbeitete Jos Oberschenkel mit den Krallen. Das tiefe, zufriedene Vibrieren ging durch Jos ganzen Körper. Während Jo, immer wieder bedrückt aufseufzend, die tragische Szene mit ihren Eltern noch einmal Revue passieren ließ, kraulte sie Puss’ weiches Fell. Sie war nicht sicher, was sie mehr gekränkt hatte – der kalte Ausdruck in den Augen ihres Vaters oder die Abwesenheit ihrer Mutter. Lieber hätte sie eine weitere Tirade erduldet, als auf diese Weise weggestoßen zu werden. Sie glaubte einfach nicht, dass ihre Mutter wirklich so hohes Fieber gehabt hatte.
»Das habe ich mir alles selbst eingebrockt, was, Puss?«, meinte sie schließlich. »Und nun bin ich frei und kann bei meinen geliebten Pferden arbeiten. Weshalb weigert Daddy sich, das zu verstehen, Puss? Warum wollen die beiden das einfach nicht einsehen?«
Es schnürte ihr die Kehle zu, und wieder wurden ihre Augen feucht. Ratlos lehnte Jo sich an die Wand und blickte durch den Türspalt hinaus ins Sonnenlicht. Sie war zu erschöpft, um sich weiter das Hirn zu zermartern. Puss bearbeitete sie mit den Pfoten und schnurrte. Nachdem Jo eine Weile stillgehalten hatte, um die zufriedene Katze nicht zu stören, wurde sie unruhig und begann, hin und her zu rutschen. Allmählich schlief ihr der Po ein, und außerdem war der Steinfußboden entsetzlich kalt.
»Nun denn, was geschehen ist, ist geschehen. Das siehst du doch auch so, nicht wahr, Puss? Und da ich jetzt auf mich allein gestellt bin, mache ich mich wohl am besten wieder an die Arbeit«, verkündete sie entschlossen und nahm die Katze zärtlich in die Arme.
Nachdem sie die Wange kurz in das warme, weiche Fell geschmiegt hatte, setzte sie Puss vorsichtig auf den Boden und rappelte sich auf. Während sie sich die Beine vertrat und sich Spreu und Schmutz von den Jeans klopfte, fand die Katze offenbar, dass sie genug geruht hatte, gähnte und trollte sich.
Jo rieb sich das taube Hinterteil, musterte ihr Gesicht in der Spiegelscherbe, die auf einer Bank lag und band sich das Haar zurück. Sie kam zu dem Schluss, dass sie nicht allzu sehr zum Fürchten aussah, und spähte durch den Türspalt hinaus auf den gepflasterten Hof. Von Kurt und den Kollegen fehlte jede Spur. Nur ein schwarzes Pferd mit einer großen weißen Blesse knabberte am Rand seiner Boxentür, und ein Brauner blickte sich neugierig um. Jo kam zu dem Ergebnis, dass sie offenbar nicht gefeuert war, und steuerte auf das Hufgetrappel am anderen Ende des Stalls zu.
Am folgenden Montag teilte Guy sie zu ihrem Erstaunen zur Bahnarbeit ein. Weder er noch Kurt erwähnten den Besuch ihrer Eltern oder den überstürzten Aufbruch. Auch wenn Kurt sich ihr gegenüber freundlich verhielt, spürte Jo, dass sich etwas verändert hatte. So sehr sie auch dagegen ankämpfte, fühlte sie sich in
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