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Wohin der Wind uns trägt

Wohin der Wind uns trägt

Titel: Wohin der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne McCullagh Rennie
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seiner Nähe unwohl. Fragen, die sie früher als harmlos betrachtet hätte, erschienen ihr nun aufdringlich. Ihr Vertrauen in den Stallmeister hatte stark gelitten. Ständig hallten ihr die Worte ihres Vaters in den Ohren, und obwohl sie sich zwang, fröhlich mit Kurt zu plaudern, wuchs ihr Argwohn gegen ihn. Sie achtete sorgsam darauf, die Geheimnisse, die sie als Kind gelernt hatte, für sich zu behalten. Sie wusste jedoch, dass sie ihr Misstrauen überwinden und gegen die Niedergeschlagenheit und Verzweiflung ankämpfen musste, die sie immer wieder zu überwältigen drohten. Um den Schmerz zu betäuben, trieb sie sich zur Arbeit an. Sie war die Erste, die vor Sonnenaufgang in der Dunkelheit in den Ställen eintraf, und die Letzte, die ging, nachdem die Pferde für die Nachtruhe vorbereitet waren. Trotzdem wollte sich Jos Trauer in den nächsten Wochen nicht legen. Nur ihrem Starrsinn und ihrem Stolz hatte sie es zu verdanken, dass sie bei der Stange blieb.
    Allmählich wich der Winter dem Frühling. Morgens war es nicht mehr so eisig kalt, und die schwarze Wolke, die Jos Seele überschattete, verzog sich. Winzige gelbe Krokusse wuchsen aus dem gefrorenen Boden, und die ersten Blüten reckten die Köpfchen der Sonne entgegen. Bald schwebte der berauschende Duft von Schneeglöckchen und Hyazinthen durch die Luft, und Jos Herz begann wieder zu singen. Allmählich ordneten sich ihre Gedanken.
    An ihren freien Tagen suchte sie die Umgebung nach bewährten und wirksamen Heilkräutern ab, über deren Anwendung sie in der Kingsford Lodge und in Dublin Park etwas gelernt hatte. Ohne auf die schiefen Blicke ihrer Kollegin oder deren Bemerkungen über Hexenbesen, schwarze Katzen und Einhörner zu achten, stellte sie sich eine kleine Auswahl an ätherischen Ölen, Kräuterextrakten und Pulvern zusammen, die sie in einem Verbandskasten unter ihrem Bett aufbewahrte.
    Wenn sie frühmorgens durch das Dörflein Stockenham mit seinem mittelalterlichen Marktplatz und den hübschen alten, in Nebel gehüllten Häusern ritt, begrüßte sie Guy mit einem fröhlichen Winken. Und beim Ausritt mit den Pferden auf der Heide fühlte sie sich zum ersten Mal seit Wochen wieder glücklich. Der Wind rötete ihre Wangen, sie spürte die Bewegungen des kräftigen Tieres unter sich und sah den Dampf, der aus seinen Nüstern wölkte, während sein Schnauben über die Heide klang. So kehrte die Begeisterung zurück, die Jo zu Hause in Australien auf dem Rücken eines Pferdes empfunden hatte.
    Auf Kurt wirkte der Frühlingsanfang hingegen weniger belebend, und sein Triumphgefühl, die Tochter seines Widersachers Kingsford angeheuert zu haben, verwandelte sich mit der Zeit in wütende Enttäuschung.
    »Sie muss gehen. Nachdem ihr Vater ihr so zugesetzt hat, werden wir nichts mehr aus ihr rauskriegen«, knurrte Kurt seinem obersten Jockey Willie Carstairs eines Tages bei der Bahnarbeit zu, während sie zusahen, wie Jo über die Heide preschte. »Zum Teufel mit Charlie.«
    »Hm, ich weiß nicht so recht«, erwiderte Carstairs und stocherte zwischen seinen Zähnen herum. Seine wettergegerbten Wangen waren von tiefen Furchen durchzogen. Der nur einen Meter fünfzig große und magere Carstairs ritt seit fünf Jahren für Compton. »Ich würde an deiner Stelle besser aufpassen. Mit Frauen und Pferden ist es immer dasselbe. Man muss nett zu ihnen sein, aber ab und zu die Peitsche zeigen. Dann erfährst du schon, was du wissen willst.« Kurt stieß zwar nur ein mürrisches Brummen hervor, beschloss aber, auf Willies Rat zu hören und nichts zu überstürzen.
    Mitte April bekam Jo einen Brief von Emma. Dem Schreiben lag ein Zeitungsausschnitt mit einem Foto bei, auf dem Emma sich auf der Treppe eines Pariser Luxushotels mit einer Modelkollegin buchstäblich in den Haaren lag. »Zickenkrieg der Laufstegköniginnen«, lautete die Schlagzeile.
    »Der Wahlspruch, dass schlechte Presse besser ist als gar keine, trifft offenbar zu«, schrieb Emma. »Seit dieser Bericht über mich und Meloney erschienen ist, kann ich mich vor lukrativen Angeboten nicht mehr retten. Mein Agent ist ganz aus dem Häuschen. Übrigens ist Meloney eine blöde Kuh und hatte es verdient, an den Haaren gezogen zu werden, auch wenn die Vortreppe eines der teuersten Hotels von Paris vielleicht nicht der beste Ort dafür ist.«
    Der Brief munterte Jo sehr auf. Am Abend nahm sie endlich ihren Mut zusammen und rief Jenny an, um mit Emma zu sprechen. Jenny war so nett zu ihr wie eh und je, was Jos

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