Wohin der Wind uns trägt
dich liebt. Ihr wart eine große glückliche Familie. Warum sollte er das alles erfinden?«
Charlie holte tief Luft.
»Das hat dieser Mistkerl dir also weismachen wollen. Jetzt pass mal gut auf …«
Aber Jo wollte nichts mehr hören.
»Ich mag ihn, Dad, und mir gefällt mein Job.« Sie stand auf und zog den Pullover an, der über der Stuhllehne hing. »Die Comptons sind stolz darauf, dass ich auf ihrem Gestüt arbeite. Das hat Mrs Compton selbst zu mir gesagt. Ich habe Freunde. Kurt respektiert mich. Ich weiß, dass ich recht habe, und ich bleibe. Können wir zurückfahren?«
»Du irrst dich, Jo. Du machst einen Fehler«, erwiderte Charlie und erhob sich ebenfalls. Es machte ihn wütend, dass Jo nicht wahrhaben wollte, wer Kurt in Wirklichkeit war. Allerdings war der Mann ein geschickter Betrüger.
Obwohl Charlie zugegebenermaßen nicht der Mensch war, der sich eine Gelegenheit entgehen ließ, ärgerte es ihn noch immer, mit welcher Genugtuung Kurt Teile von Dublin Park an sich gerissen hatte, als die Familie in einer Krise steckte. Wenn es ihm nur auf das Land angekommen wäre, hätte Charlie ihn verstehen können, aber das war nicht genug gewesen. Kurt würde erst zufrieden sein, wenn er Charlie alles genommen hatte. Am allermeisten war ihm früher daran gelegen, Nina für sich zu gewinnen. Dank seines guten Aussehens und seiner Schlagfertigkeit hätte er es beinahe geschafft. Doch ihr Instinkt hatte Nina vor dem romantischen Kavalier gewarnt und in letzter Minute verhindert, dass sie mit ihm vor den Altar trat. Charlie war so erleichtert gewesen, dass er es gar nicht in Worte fassen konnte. Damals hatte er triumphiert. Nina hatte lange gebraucht, um die Beziehung zu Kurt, ihrer ersten Liebe, nicht mehr zu verklären.
Charlie schüttelte es, wenn er sich vorstellte, wie Nina vor ihrer Hochzeit in Kurts Armen gelegen hatte. Damals glaubte er, sie für immer verloren zu haben, und diese Erinnerung schürte seine Wut und Erbitterung gegen Jo.
»Du hast deiner Mutter das Herz gebrochen, unsere Freunde beleidigt und unbeschreibliche Mengen an Geld und Zeit vergeudet, die wir in dich investiert haben. Genug ist genug, Jo. Entweder kehrst du nach Paris zurück und bleibst Fotomodell, oder du kommst mit mir nach Hause.«
»Um bei dir in den Ställen zu arbeiten?« Kurz leuchtete Hoffnung in Jos Augen auf.
»Fang nicht wieder damit an, Jo«, sagte Charlie barsch und zog die Brieftasche heraus.
Jo war verzweifelt. Sie konnte nicht zu ihrem Vater durchdringen, und ihre Mutter weigerte sich sogar, mit ihr zu sprechen. Noch nie hatte sie sich einsamer und schuldiger gefühlt, aber sie durfte nicht nachgeben.
»Es tut mir leid, Dad, denn ich wollte dir und Mum niemals wehtun. Ich liebe euch beide sehr. Warum wollt ihr nicht verstehen, dass ich mich nie nach etwas anderem gesehnt habe, als diesen Beruf zu ergreifen? Du liebst Pferde, und du hast mir beigebracht, sie auch zu lieben. Warum erlaubst du es mir dann nicht?« Ihre Stimme bebte. »Wenn ich zu Hause nicht für dich arbeiten darf, bleibe ich in Stockenham Park, bis du deine Meinung änderst. Und jetzt muss ich zurück, meine Mittagspause ist vorbei.«
Jos Beine waren so wackelig, dass sie sich fragte, wie sie es bis nach draußen schaffen sollte. Sie wischte sich die Tränen weg, die sie nicht länger unterdrücken konnte, und ihre Verzweiflung wuchs, als sie sah, wie ihr Vater bedächtig Pfundnoten aus der Brieftasche zog.
»Bitte, Dad.«
Ungerührt musterte Charlie seine Tochter. Er war nicht in der Lage, über seine Wut und Kränkung hinauszublicken und zu erkennen, dass Jo ihre Beharrlichkeit von ihm geerbt hatte.
»Gut, wenn du es so willst … Von nun an bist du auf dich allein gestellt, bis du wieder zur Vernunft kommst. Aber heul uns nichts vor, wenn es schiefgeht.« Er warf die Geldscheine auf den Tisch und marschierte an Jo vorbei ins Freie.
Jo lächelte dem Wirt verlegen zu und lief ihrem Vater nach. Draußen war die Sonne hinter bedrohlichen Wolken verschwunden, und ein eisiger Wind peitschte ihr ins Gesicht. Auf der Fahrt über die gewundenen Straßen zurück nach Stockenham Park sprach keiner von ihnen ein Wort.
Charlie hielt den Wagen an, und Jo stieg aus. Das Elend schnürte ihr die Kehle zu.
»Es tut mir leid, Dad. Ich liebe euch beide so sehr. Bitte glaubt mir«, flüsterte sie und blickte zum Wagenfenster hinein. »Bitte richte Mum aus …«
Charlie sah sie mit eiskalter Miene an.
»Es tut dir leid? Du hast keine Ahnung, was du
Weitere Kostenlose Bücher