Wohin die Liebe führt
befanden sich an ihren Plätzen. Der Gerichtsdiener in seiner Amtsuniform lehnte nachlässig an einer geschlossenen Tür.
Als Dani auf dem Weg zu ihrem Platz an mir vorbeiging, berührte ich ihre Hand. Sie war eiskalt. Ich lächelte ihr zuversichtlich zu.
Sie zwang sich zu einem Lächeln, das ihr kläglich mißglückte. Ich machte eine kleine Geste mit der Hand, die ihr Mut machen sollte. Sie nickte und ging weiter. Bei der alten Dame und Nora blieb sie eine Sekunde stehen, küßte sie und begab sich dann auf ihren Platz. Der Richter wollte offenbar keine Zeit verlieren. Er klopfte schon mit seinem Hammer auf, ehe Dani noch richtig saß. »Es ist der Zweck dieser Verhandlung«, sagte er, »zu einem Entschluß über die zukünftige Vormundschaft und Fürsorge für die Jugendliche Danielle Nora Carey zu kommen, der im Einklang steht mit ihren eigenen Interessen und zugleich den Inter-
essen des Staates Kalifornien.« Er blickte hinunter zu Dani. »Verstehst du das, Danielle?«
Dani nickte. »Ja, Sir.«
»Du wirst dich auch erinnern«, fuhr er fort, »daß ich dich, als du letzte Woche hier vor diesem Gericht standest, darüber unterrichtet habe, daß du gewisse Rechte hast: das Recht, Zeugen zu deinen Gunsten zu benennen; das Recht auf einen Anwalt; das Recht, jede Aussage über dich, die du als für dich nachteilig oder schädlich empfindest, im Kreuzverhör anzufechten.«
»Ja, Sir.«
»Ich habe zur Kenntnis genommen, daß du zusammen mit deiner Familie Mister Gordon bestellt hast, um die gemeinsamen Interessen wahrzunehmen. Bist du damit einverstanden, Danielle?«
Sie hob den Blick nicht. »Ja, Sir.«
Der Richter sah uns alle an. »Dann werden wir fortfahren«, sagte er. Er nahm ein paar Blatt Papier zur Hand, die vor ihm auf dem Tisch lagen. »Uns liegen zwei verschiedene Anträge wegen der Vormundschaft über dieses Kind vor. Der eine wurde von der Bewährungshelferin, Miss Marian Spicer, eingereicht; sie ersucht darum, daß der Staat die Vormundschaft behält, bis Danielle einer ausreichenden Behandlung unterzogen worden ist, welche sie so weit wiederherstellt, daß durch ihre Handlungen ihr selbst und anderen kein Unheil mehr geschehen kann. Der andere Antrag, der durch Mister Gordon namens der Eltern und Verwandten des Kindes eingereicht wurde, befürwortet, daß das Kind zum Mündel von Mrs. Hayden, der Großmutter mütterlicherseits, erklärt und ihrer Vormundschaft und Fürsorge unterstellt wird. Sie würde die Aufsicht, Erziehung und Fürsorge für das Kind übernehmen, bis es großjährig wird.
In beiden Anträgen werden ausführliche Vorschläge hinsichtlich der Erziehung und des Wohls des Kindes gemacht. Wenn kein Einspruch erfolgt, werden wir unsere Verhandlung damit beginnen, den Antrag der Bewährungsbehörde zu erwägen.«
»Ich erhebe keinen Einspruch, Euer Ehren«, sagte Gordon.
»Gut.« Der Richter sah die Bewährungshelferin an. »Miss Spicer, würden Sie bitte dem Gericht Ihre Gründe darlegen, warum der Staat weiterhin die Vormundschaft über das Kind behalten soll?«
Marian Spicer räusperte sich nervös und stand auf. »Wir haben mehrere Gründe, Euer Ehren.«
Dann begann sie mit dünner, angespannter Stimme, aber je mehr sie sprach, desto mehr verschwand die Nervosität, und ihre Stimme klang normal. »Wir müssen im Auge behalten, daß dieses Kind der Bewährungsbehörde eingeliefert und vor Gericht gestellt wurde, weil eine schwere kriminelle Handlung vorliegt -ein Totschlag.«
»Ich erhebe Einspruch!« Harris Gordon sprang auf. »Der Spruch des Untersuchungsrichters und der Geschworenen lautete auf berechtigte Notwehr<.«
Ich sah, daß Marian Spicer verwirrt errötete. Sie sah den Richter an.
»Ich nehme Kenntnis von dem Einspruch«, sagte er mit einem Blick auf Gordon. »Aber ich möchte Ihre Aufmerksamkeit dahin lenken, daß das Jugendgericht automatisch vorsieht: Alle derartigen Einwände werden nur zugunsten des Jugendlichen gemacht und vermerkt. Da dieses Gericht keine Geschworenen hat, die über diese Dinge instruiert werden müssen, halten wir es nicht für nötig, solche Einwände weiter zu erörtern.«
Gordon nickte. »Jawohl, Euer Ehren.«
Der Richter sah die Bewährungshelferin an. »Sie können fortfahren, Miss Spicer.«
Marian Spicer warf einen Blick auf die Papiere vor sich auf dem Tisch und begann wieder: »Die Bewährungsbehörde beschäftigt sich natürlich nicht nur mit der Beschuldigung selbst, sondern auch mit den Ursachen, mit der Frage also, warum
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