Wohin du auch fliehst - Thriller
aus, er hatte tiefe Ringe unter den Augen. »Heute in der Arbeit hatte ich mir vorgenommen, mich gleich nach dem Nachhausekommen zu betrinken.«
»Warum?«
»Das letzte Weihnachten war ehrlich gesagt ziemlich beschissen. Ich habe versucht, darüber hinwegzukommen. Sich zu betrinken ist natürlich auch keine Lösung, aber ich habe gedacht, dass es vielleicht helfen könnte.«
»Was ist letztes Weihnachten passiert?«
Er schenkte sich noch ein wenig Wein ein und goss auch mir nach, obwohl ich erst ein paar Schlucke genommen hatte. »Da fing es an, dass mit Hannah alles schiefging.«
»Mit deiner Verlobten?«
Er nickte. »Ich hatte das Weihnachtsessen vorbereitet. Wir waren zu viert − Hannah und ich, ihr Bruder Simon und seine Freundin Rosie. Simon war mein bester Freund an der Uni, durch ihn habe ich Hannah kennengelernt. Wir hatten gerade aufgegessen, als Han einen Anruf auf ihrem Handy bekam. Eigentlich hatte sie keinen Bereitschaftsdienst, sagte mir aber, es sei ein Notfall, und sie müsse los. Simon hat sie angepflaumt, sie richtig beschimpft. Doch sie hat ihn zur Hölle geschickt, ihren Mantel genommen, und weg war sie. Simon war furchtbar wütend, und ich konnte das kaum verstehen, sagte ihm immer wieder, er solle es vergessen. Es wurde richtig peinlich, und kurz darauf gingen sie. Ich blieb alleine zurück, bis Hannah um drei Uhr morgens wieder zurückkam. Ich war auf dem Sofa eingeschlafen, während ich auf sie gewartet hatte.«
Er sah mich an und runzelte die Stirn bei dem Gedanken. »Das war ein beschissenes Weihnachten. Wie sich herausstellte, hatte sie dem Mann, mit dem sie eine Affäre hatte, versprochen, Weihnachten mit ihm zu verbringen. Simon wusste davon. Er stand kurz davor, es mir zu sagen; deshalb wollte Rosie auch unbedingt gehen. Sie wollte mir das Weihnachtsfest nicht verderben.«
»Und wann hast du es herausgefunden?«
»Erst im Juli.« Er lehnte sich auf dem Sofa zurück und trank sein Glas Wein aus. »Ich möchte nicht darüber reden«, sagte er bestimmt.
Er wusch die Schälchen aus, während ich die Spätnachrichten schaute, dann holte er sein Federbett aus dem Schlafzimmer und hüllte mich darin ein. Es war riesig.
»Ich habe einen Schlafsack im Schrank«, sagte er. »Nimm das hier.«
»Danke«, murmelte ich. Ich sah ihn einen Moment lang an und spürte, wie mein Herz schneller schlug. Keine Ahnung, was ich getan hätte, wenn er wieder versucht hätte, mich zu küs sen. Doch er lächelte nur und ging ins Schlafzimmer zurück. Ich hörte, wie er sich in der Wohnung zu schaffen machte und das Licht im Flur einschaltete. Ich dagegen streckte mich auf seinem Sofa unter der warmen, weichen Decke aus, die nach Waschmittel und ein wenig nach seinem Aftershave duftete, und rechnete damit, kein Auge zuzutun. Ich lag da und dachte so lange über meine Schlaflosigkeit nach, bis ich einschlief.
Samstag, 17. Januar 2004
Sylvias Party fand im Spread Eagle statt, einem unserer Lieblingspubs und Schauplatz vieler großartiger Nächte. Sylvia hatte mit Unterbrechungen ein Verhältnis mit dem Manager, wobei die Unterbrechungen oft länger andauerten. Doch trotz ihrer Streitereien war es ihnen gelungen, befreundet zu bleiben.
Wir hatten uns ein Taxi zum Spread Eagle genommen, und Lee hatte total schlechte Laune.
»Hör mal, wir müssen ja nicht lange bleiben, wenn du keine Lust hast. Nur eine Stunde oder zwei, einverstanden?«
»Von mir aus.«
Hätte er nicht so fantastisch ausgesehen, hätte ich ihn vermutlich zum Teufel geschickt. Ich konnte mich nicht entscheiden, ob ich ihn im Anzug, frisch rasiert und herrlich duftend am liebsten mochte oder reif für die Dusche und in Jeans. Heute Abend befand er sich genau in der Mitte zwischen den beiden Extremen: Er trug Jeans, ein dunkelblaues Hemd, das seine Augen noch blauer erstrahlen ließ als sonst, und er war – immerhin – sauber. Während wir zur Tür eilten und uns schon mal gegen den Lärm wappneten, der uns entgegenschlug, nahm er meine Hand und drückte sie.
Und das alles wegen eines blöden Outfits.
Als er vorhin aus der Dusche gekommen war, sich abgetrocknet hatte und dann nackt und voller Selbstvertrauen, wie es nur Männer mit so einem Körper haben können, in mein Schlafzimmer stolziert war, war ich gerade dabei gewesen, mich in mein schwarzes Samtkleid zu zwängen.
»Ziehst du das an?«
Er hatte seine Hand um meine Hüften gelegt und sich an mich gepresst.
»Offensichtlich ja«, sagte ich vergnügt.
»Warum nicht das
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