Wohin du auch fliehst - Thriller
wartete, als ich den grellen, furchtbaren Laut hörte und mich für einen Augenblick fragte, woher er kam. Bis ich ganz außer Atem war und merkte, dass ich ihn ausgestoßen hatte. Ich zuckte auf dem Sofa zurück und versuchte, mich so klein wie möglich zu machen. Ich versuchte zu verschwinden.
Das sind die Momente, die ich als gefährlich wahrnehme. Die Angst, die mein Leben bestimmt, türmt sich plötzlich unüberwindbar vor mir auf, und mein ganzes Leben wird zu einer unbezwingbaren Herausforderung.
Plötzlich verschwamm alles vor meinen Augen. Ich sah, wie Stuart sich neben mich setzte, doch das ganze Zimmer schwankte, als würde die Erde beben.
Ich spürte, wie er mich in den Arm nahm, hörte, wie er sagte: Atme ! Doch ich begriff nichts mehr. Kurz bevor ich würgen musste, stieß ich ihn von mir, griff nach dem Papierkorb und übergab mich.
Dann hörte ich nur noch meinen eigenen Atem – ein kurzes Keuchen, gefolgt von einem unkontrollierten Zucken. Meine Finger kribbelten, doch es war schon zu spät, der Boden kam auf mich zu.
Mittwoch, 7. Januar 2004
Auf dem Heimweg sprach Lee kaum ein Wort mit mir.
Er hielt an und kaufte eine Tüte Pommes an einer Imbissbude in der Prospect Street. Sie lag unberührt auf meinem Esstisch, und ihr Duft ließ mir das Wasser im Mund zusammenlaufen, obwohl mir eigentlich der Appetit vergangen war. Wir saßen im Dunklen auf meinem Sofa. Er hatte mich auf seinen Schoß genommen. Ich blieb stocksteif und schmollte wie ein bockiges Kind, wusste aber eigentlich gar nicht mehr, warum ich so sauer war.
»Wir müssen reden«, sagte er sanft. Er hatte die Arme um mich geschlungen und seinen Kopf an meinen Hals geschmiegt.
»Wir hätten schon viel früher darüber reden sollen.«
»Du hast recht, und es tut mir leid. Ich entschuldige mich auch für den ganzen Mist heute Abend.«
»Wer war das? Der Mann mit dem Rucksack, meine ich?«
»Einer der Männer, die wir im Visier haben. Ich beschatte ihn seit Wochen, hatte aber natürlich keine Ahnung, dass er diesen Pub als Treffpunkt nutzen würde, sonst hätte ich dich nie dorthin gebracht.«
»Du bist Polizist?«
Er nickte.
»Warum hast du mir das nicht längst vorher gesagt?«
Es folgte ein kurzes Schweigen. Ich war besänftigt, ganz gegen meinen Willen. Er spielte mit meiner Hand, verschränkte seine Finger mit meinen, führte meine Hand an seinen Mund und küsste meine Fingerspitzen. »Ich hatte nicht damit gerechnet, dass so etwas passieren würde«, sagte er. »Das ist nicht mein Ding. Ich vergucke mich nicht in Frauen. Meist bin ich nicht lange genug mit einer zusammen, um ihr irgendwas über mich erzählen zu müssen. Ich darf nicht viel über meinen Job reden, weißt du. Ich ermittle meistens verdeckt. Und das fällt leichter, wenn man allein lebt.«
»Das klingt gefährlich«, sagte ich.
»Es sah vermutlich schlimmer aus, als es war. Ich bin daran gewöhnt.«
»War das damals in der ersten Nacht auch so, als du blutverschmiert bei mir aufgetaucht bist und ich dachte, du hättest dich geprügelt?«
»Ja, der Fall war nicht ganz so unkompliziert. Aber so etwas passiert nur selten. Meist sitze ich im Wagen und warte darauf, dass irgendwas passiert. Oder aber ich sitze bei Einsatzbesprechungen in irgendeinem muffigen, fensterlosen Raum und gehe unzählige Mails durch.« Er veränderte seine Position und griff hinter sich. »Ich sitze hier auf irgendeinem Ziegelstein – was ist denn das?«
Es war mein Zeitplaner. Ich hatte ihn mit meiner Tasche aufs Sofa geworfen, als wir hereingekommen waren.
Ich löste mich von ihm und stand auf. »Ich hole die Pommes«, sagte ich. »Willst du sonst noch irgendwas? Einen Drink vielleicht?«
»Nein«, hörte ich ihn sagen.
Ich setzte den Wasserkessel auf. Ich brauchte jetzt dringend eine Tasse Tee.
»Darf ich mal einen Blick reinwerfen?«, hörte ich ihn rufen.
Ein paar Minuten später kam ich mit den Teetassen zurück, und er hatte das Licht angemacht. Mein Zeitplaner lag offen auf seinem Schoß, und er blätterte darin.
»Was machst du denn da?«
»Ich bin neugierig. Wer sind alle diese Leute?«
Hinten in meinem Zeitplaner steckten in einer durchsichtigen Tasche unzählige Visitenkarten. »Irgendwelche Leute, die ich auf Konferenzen getroffen habe«, sagte ich. »Ich finde nicht, dass du da reinschauen solltest.«
»Warum nicht?«, fragte er, klappte ihn aber zu und reichte ihn mir.
»Ich bin Personalmanagerin, Lee. Da sind Informationen über Mitarbeiter drin.
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