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Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition)

Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition)

Titel: Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Bonyhady
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auch, als seine Frau dachte, er sei nach England gefahren, um in der Royal Ordnance Factory zu arbeiten, in Wahrheit aber war er noch in Sydney. Nachdem Mr. Rawson endlich in England angelangt war, ging Mrs. Rawson zum Geheimdienst und fand heraus, dass er mit Kathe in Briefverbindung stand. Mrs. Rawson warnte, Kathe könne Mr. Rawson ausnutzen, »um Informationen zu erhalten, die dem Feind nutzen könnten«. Der Geheimdienstbeamte nahm das nicht ernst. »Die Sache scheint definitiv etwas mit schlichter Eifersucht zu tun zu haben«, schloss er, »und ist eine nähere Untersuchung nicht wert.«
    Als ihnen eine neuerliche Radiolizenz verweigert wurde, erhob Kathe Einspruch. Sie erklärte, ihr Radio habe einen zu schwachen Empfang, sie könnten keine Überseesender hören und wüssten nicht, wie man den Kurzwellenempfang einstellen solle. Zudem betonte sie, das Radio liefere ihnen wesentliche Informationen über Verdunkelung und andere Sicherheitsmaßnahmen. Wieder wurde sie im Polizeihauptquartier befragt. Diesmal äußerte sie ihre Empörung, ein Zeichen ihres Vertrauens in die australische Gesellschaft; sie fühlte sich offenbar sicher, ihrem Ärger Luft machen zu dürfen. »Es verletzt unsere Gefühle«, erklärte Kathe, »in unserem neuen Heimatland, dem gegenüber wir vollkommen loyal gesinnt sind, als feindliche Ausländer eingestuft zu werden.« Nach sechs Monaten hatte sie Erfolg.
    Unwirscher reagierten die Sicherheitsbehörden 1943, als einer der Agenten berichtete, Gretl, die als Sekretärin bei der Delegation der Forces Français Libres arbeitete, habe ihre Stellung aufgegeben, da man dort »in unlautere Geschäfte verwickelt« sei. Der Sicherheitsdienst überprüfte Gretls Post innerhalb Australiens, führte eine Untersuchung durch und lud sie zu einer Befragung vor. Diese Untersuchung ergab nichts weiter, als dass Gretl Schwierigkeiten hatte, sich an die Rolle einer Sekretärin zu gewöhnen. Ihre Kündigung, fand der Sicherheitsdienst heraus, war deswegen erfolgt, weil sie sich unter ihren Kolleginnen, Mädchen, die dreißig Jahre jünger waren als sie, wegen ihrer »höheren Bildung und Kultur« »fehl am Platz« fühlte. Zwei Jahre später wurde sie jedoch immer noch extra überwacht.
    Wegen solcher Kontrollen lebten Gretl, Kathe und Anne bis zu einem gewissen Ausmaß in Angst, die noch durch die Sorge genährt wurde, was diese Kontrollen bedeuteten und ob man sie ungestraft ignorieren konnte. Ein Anfang 1942 von Kathe geschriebener Brief, als Anne in Ferien auf dem Land war, wofür sie eine Sondergenehmigung brauchte, liefert ein Beispiel. Er zeigt, dass Gretl, Kathe und Anne zunächst dachten, sie würden für ihr Lieblingsschwimmbad am Hafen am Nielsen Park eine Genehmigung brauchen, und sich manchmal einfach nicht darum kümmerten; das bedeutete, dass sie sich beim Schwimmen ständig fürchteten. Dann entdeckten sie zu ihrer Erleichterung, dass der Nielsen Park innerhalb ihres Bezirks lag, und so konnten sie, wie Kathe es ausdrückte, »unbesorgt schwimmen«.
    Etwas verspätet begann die Regierung diese Kontrollen Ende 1942 zu lockern; man entschied, Ausländer aus Feindstaaten müssten sich nur noch einmal pro Monat statt einmal pro Woche bei der Polizei melden. Zugleich wurde ein großer Polizeibezirk geschaffen, der sich vom Hauptpostamt in Sydney aus über einen Durchmesser von zwanzig Kilometern erstreckte, sodass die Flüchtlinge keine Sondergenehmigungen mehr brauchten, um sich frei in der Stadt zu bewegen. Die nächsten Änderungen kamen 1943, als die Regierung 6500 »feindliche Ausländer«, darunter Gretl, Kathe und Anne, als »geflüchtete Ausländer« neu einstufte und ihnen dann erlaubte, um die Staatsbürgerschaft anzusuchen. Sobald es möglich war, taten Gretl, Kathe und Anne das im Jänner 1944, da sie bereits fünf Jahre im Land ansässig waren. Im März legten sie die deutsche Staatsbürgerschaft ab, die ihnen durch den »Anschluss« aufgezwungen worden war, und da es noch keine australische gab, wurden sie britische Untertanen.
    Der Krieg machte auch Annes Welt enger: Er bereitete ihrem Briefwechsel mit Anni Wiesbauer ein Ende, und so blieb ihr nur Erika Brünn als einzige österreichische Freundin, mit der sie in Kontakt war. Anne lernte in Sydney zwar viele Flüchtlinge kennen, doch die betrachtete sie nicht als Ersatz für ihre »echten Freunde« aus Wien, vor allem ihre »geliebte Erika«, der Anne alles erzählen wollte und die auch ihre Berufswahl bestimmte. »Es wäre

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