Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition)
die Gallia-Sammlung von secessionistischen Gemälden wurde bald umfangreicher. In manchen Jahren scheinen sie nur ein oder zwei Bilder erworben zu haben, 1903 jedoch mindestens vier, darunter der Klimtsche Buchenwald, eine noch größere Landschaft von Ferdinand Andri, ein kleineres Ölbild von Moll – es stellte das Beethovenhaus in Heiligenstadt dar – und eine glitzernde Mondlichtszenerie von Ernst Stöhr, eines der ersten österreichischen neo-impressionistischen Bilder. Als Klimt Anfang des folgenden Jahres endlich das Porträt Hermines vollendete, konnte sich die Wohnung der Gallias in der Schleifmühlgasse einer der großen frühen Secessionismus-Sammlungen rühmen.
Ein Brief von Klimt an Moriz, in dem er eine Einladung zum Abendessen in der Schleifmühlgasse annimmt.
Dieses Mäzenatentum schien gefährdet, als sich die Secession wie zahlreiche andere abtrünnige Künstlergruppen im Europa der Jahrhundertwende neuerlich spaltete. Es war ein Konflikt über den Vorschlag Klimts und seiner Anhänger entstanden, die Secession solle die führende Wiener Verkaufsgalerie erwerben, die seit 1904 von Moll geleitete Galerie Miethke. Außerdem schlug die Klimt-Gruppe vor, Moll solle die Galerie vom Secessionsgebäude aus leiten, aber nur einige der Secessionskünstler zeigen. 1905 stellte eine Mehrheit in der Secession fest, Moll habe sich eines Interessenkonflikts schuldig gemacht; darauf trat die Klimt-Gruppe aus Protest aus und beraubte dadurch die Secession ihrer fortschrittlichsten Künstler und Architekten, obwohl die Ausstellungen nach wie vor ein großes Publikum anzogen, die Beachtung der Kritiker fanden und viele Bilder verkauften.
Moriz und Hermine erwarben auch nach der Spaltung Bilder von der Secession, an erster Stelle eine schöne Landschaft von Adolf Zdrazila, dem führenden schlesischen Maler in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts; Hermine gefiel sein Werk, weil es ihre Heimat darstellte. Als die Gallias 1912 die Münchner Secession besuchten, notierte Gretl: »Die Wiener ist viel schöner!«, und meinte damit höchstwahrscheinlich ebenso das Gebäude wie die ausgestellten Werke. Moriz und Hermine standen trotzdem der Klimt-Gruppe viel näher, darunter Klimt selbst, der sie hin und wieder in ihrer Wohnung besuchte. Wie Sonja Knips, Adele Bloch-Bauer und Eugenia Primavesi, die ebenfalls von Klimt gemalt worden waren, besorgte sich Hermine seine Fotografie, stellte sie aber nicht zur Schau, wie diese es getan hatten, legte sie auch nicht in ein besonderes Album oder ließ sie extra anfertigen.
Moll stand den Gallias viel näher. Er lud sie in sein Haus auf der Hohen Warte ein, sie wiederum ihn in ihre Wohnung in der Schleifmühlgasse; gelegentlich gingen sie gemeinsam mit ihm und seiner Frau Anna in die Oper, ins Theater oder Konzert. Nicht lange, nachdem die Klimt-Gruppe die Secession verlassen hatte, besuchten die Gallias, Molls und Theobald Pollak eine Aufführung von Oscar Wildes »Bunbury«. Sechs Jahre danach war Moll mit den Gallias so eng verbunden, dass er ihnen eines seiner Bilder, ein Rosen-Stillleben, zu Weihnachten zum Geschenk machte. Er besuchte auch Hermines Geburtsort Freudenthal und wohnte dort höchstwahrscheinlich bei ihren Eltern. In diesen Jahren kauften Moriz und Hermine die meisten ihrer Bilder bei ihm.
Hermines Fotografie von Klimt; sie stammt aus einer der berühmten, im Studio Madame d’Ora von Dora Kallmus aufgenommenen Porträtserien. Um 1908. 4
Sie hatten jede Möglichkeit, die beste Kunst aus ganz Europa zu erwerben, die Secession wie die Galerie Miethke waren international vernetzt, doch wie die meisten Wiener Sammler moderner Kunst bevorzugten Moriz und Hermine Einheimisches. Eine seltene Ausnahme war ein großes Aquarell des russischen Künstlers Konstantin Somoff, der 1905 in der Galerie Miethke ausstellte. Sonst drückten Moriz und Hermine ihre österreichische Identität dadurch aus, dass sie sich auf österreichische Künstler konzentrierten. Um 1913, als sie in die von Hoffmann eingerichtete Wohnung zogen und mit dem Sammeln aufhörten, besaßen sie mindestens 25 Gemälde aus beinahe achtzig Jahren, die den Aufstieg der modernen österreichischen Kunst, wie Klimt und seine Anhänger sie sahen, illustrierten.
Das älteste Bild der Familiensammlung stammte von Ferdinand Georg Waldmüller, dem besten österreichischen Maler der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, der ab den späten 1820er Jahren große Erfolge feierte, als die kaiserliche Familie
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