Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition)
Eigentümer der Bilder war; das ist ein Hinweis darauf, welchen Wert die Gallias ihnen zuschrieben. Ähnlich war es bei der 1918 erschienenen Auflistung von Klimts Mäzenen.
Der Geschmack der Familie wurde an erster Stelle von Carl Moll geprägt, dem »Impresario der Wiener Moderne«, wie man ihn nannte. Seit Ende der 1890er Jahre zeigte sich Moll als ebenso gewandter Ausstellungsorganisator wie Bilderverkäufer, gleichermaßen geschickt darin, das Ohr der Regierenden zu gewinnen, wie die Nähe von Männern und Frauen zu suchen, die Geld ausgeben oder spenden konnten. 1900 attackierte Karl Kraus Moll, er sei bloß eine der raffgierigen Kreaturen des Kunstmarktes, weil er als »Kunstagent« des reichen jüdischen Kohlenhändlers David Berl auftrat. Auf ähnliche Weise scheint Moll für Moriz und Hermine tätig gewesen zu sein, die wenig von Kunst verstanden, als sie nach Wien kamen. Es ist allerdings unklar, ob sie ihn für seine Hilfe honorierten.
Ihr Begehren zu sammeln war in mancherlei Hinsicht typisch für erfolgreiche Wiener Juden und Konvertiten. Unter Klimts Mäzenen befanden sich etliche Fabrikanten jüdischer Abstammung. Hoffmann und die Wiener Werkstätte hatten so viele jüdische Kunden, dass die Werkstätte zweisprachige Neujahrskarten mit Aufschriften in Deutsch und Hebräisch auflegte. Der Architekt Adolf Loos war noch stärker von den Aufträgen der Wiener Juden abhängig. Das Publikum in den Wiener Opernhäusern und Theatern war ähnlich zusammengesetzt; Stefan Zweig behauptete: »Neun Zehntel von dem, was die Welt als Wiener Kultur des neunzehnten Jahrhunderts feierte, war eine vom Wiener Judentum geförderte, genährte oder sogar schon selbstgeschaffene Kultur. [...] Sie waren das eigentliche Publikum, sie füllten die Theater, die Konzerte, sie kauften die Bücher, die Bilder, sie besuchten die Ausstellungen.« Die Künste zu fördern war Teil jenes Strebens nach Bildung, Verfeinerung und guten Manieren, das sich die assimilierten Juden zum Ziel gesetzt hatten. Eine Klasse suchte sich durch den Kauf kultureller Gütezeichen den Ausgleich für den Mangel an ererbtem sozialen und ökonomischen Status zu erkaufen. Arthur Schnitzler meinte, dieses Verlangen werde durch das Vorurteil noch befeuert, dem die Wiener Juden auf anderen Gebieten ihres Lebens begegneten. Diese Männer und Frauen erlebten Diskriminierung, und so wandten sie sich der Kultur zu, um sich hervorzuheben. Durch ihr Verlangen nach Bildern, Musik und Literatur besetzten sie eine Nische, die ehemals die Wiener Adeligen innegehabt hatten.
Bei den Familien, die nach Wien übersiedelten, war es meist so, dass die Mitglieder der ersten Generation zu sehr mit dem Geldverdienen beschäftigt waren, um viel für Kunst auszugeben, die zweite Generation sich jedoch großzügiger zeigte. Die Gallias waren anders: Für sie bildete die Gründung der Secession 1897 einen Anreiz, nur sechs Jahre, nachdem Moriz, und vier Jahre, nachdem Hermine nach Wien gekommen war. Die Secession wurde eine der erfolgreichsten neuen Künstlervereinigungen Europas und erhielt umgehend die kaiserliche Imprimatur, nämlich staatliche Förderung; zudem zog sie zahlreiche Besucher und viele Sammler an, und Moriz und Hermine befanden sich unter den frühesten Förderern. Aus der ersten Secessionsausstellung, die im März 1898 in der Gartenbaugesellschaft stattfand, erwarben sie nichts, wohl aber aus der nächsten, im November im neuen Gebäude an der Friedrichstraße abgehaltenen Ausstellung mindestens ein Gemälde. Es war eines der größten Bilder Carl Molls und stellte den Innenraum der Wiener Peterskirche dar, einer nach dem Vorbild des Petersdoms in Rom erbauten Barockkirche im ersten Bezirk.
Es stellt sich nur die Frage, ob Moriz und Hermine dieses Gemälde direkt aus der Ausstellung kauften oder einige Zeit später. Das christliche Sujet ist der Grund dafür, dass Moriz und Hermine es ursprünglich nicht wollten; die meisten Juden hätten sich sicher kein Bild einer katholischen Weihestätte zugelegt und sich geniert, hätten ihre jüdischen Freunde und Verwandten es bei ihnen zuhause gesehen. Moriz und Hermine mögen es wegen ihrer Neigung zum Christentum gekauft haben. Dass Moll mit den Gallias um 1900 bereits gut bekannt war, lässt vermuten, dass sie bereits einige Jahre zuvor mit ihm in Geschäftsbeziehungen gestanden waren. Der Kauf des Bildes mit der Peterskirche aus der Secession war der wahrscheinlichste Beförderer ihrer Freundschaft.
Wie auch immer,
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