Wohllebengasse: Die Geschichte meiner Wiener Familie (German Edition)
andere nicht aus!« Als sie »Der Prophet« von Giacomo Meyerbeer gesehen hatte, den Wagner in seiner Streitschrift »Das Judentum in der Musik« besonders attackiert hatte, erklärte sie, die Oper sei schön, schloss aber dennoch, dass sie »für jüdische Musik nichts übrig habe«.
Unter den Habsburgern konnten Juden Christen nur dann heiraten, wenn entweder einer von beiden konfessionslos wurde oder den Glauben des anderen annahm. Das Gesetz überließ es jedem Paar, zu entscheiden, wer die Religion wechseln sollte; seine Absicht war es, dass die Juden die Kultusgemeinde verließen, und meist war das auch das Resultat, sodass interreligiöse Ehen einen der Hauptgründe für den Verlust an jüdischer Identität und für Assimilation bildeten. Als Österreich nach dem Ende des Ersten Weltkriegs Republik wurde, wurde dieses Gesetz aufgehoben, sodass Paare ihre Religion je nach Wahl beibehalten oder ändern konnten. Mizzi bestand darauf, Jüdin bleiben zu wollen, und drängte Erni, seinen Katholizismus aufzugeben. Wegen des Antisemitismus, mit dem er es als Schuljunge im Theresianum zu tun bekommen hatte, war er nicht abgeneigt; seine Konversion, so sah er es, sei sinnlos gewesen. Doch die Kirche zu verlassen, war für Erni immer noch ein sehr ernster Schritt, das hätte eine Ablehnung aller Ambitionen bedeutet, die Hermine für ihn hegte. So wurde er zwischen seiner Verlobung mit Mizzi und der Hochzeit konfessionslos. Paul und Gretl blieben inzwischen, was sie waren: Er sah sich weiterhin als Jude, sie blieb Katholikin.
Nach der Verlobung wurde ihre Vergangenheit zum Thema. Als sie Paul gestand, dass sie keine Jungfrau mehr war, hätte er sich weigern können, sie zu heiraten, obwohl er wahrscheinlich selbst nicht mehr unschuldig war. Andererseits hätte er auch erklären können, ihre Affäre mit Schiller sei ihm egal. Stattdessen schlug er finanziellen Nutzen daraus. Nachdem sie sich bereits über die Größe des Heiratsgutes geeinigt hatten, verlangte Paul nun, Gretl und Hermine müssten, da Gretls Verlust der Jungfräulichkeit ein Handicap auf dem Heiratsmarkt sei, die Summe erhöhen. Wieder beratschlagten die Gallias. Erni versuchte Gretl zu überzeugen, sie solle Paul einen Korb geben; sein Ansinnen beweise, dass er nur auf ihr Geld aus sei. Doch Gretl war verliebt. Zudem fühlte sie sich schuldig wegen ihrer Affäre, und da sie schon einmal die Verlegenheit einer geplatzten Verlobung durchgestanden hatte, wusste sie, dass ein zweites Mal jede Chance auf eine Ehe zunichtemachen würde. Im März 1921, vier Tage, bevor Gretl und Paul am Standesamt heirateten, schlossen sie einen Ehevertrag, eine nicht unübliche Vorgangsweise, wenn der Vermögensunterschied sehr groß war.
Der Vertrag war kompliziert, da der Wert der österreichischen Krone aufgrund der Hyperinflation, die viele Mitglieder der Mittelklasse verarmen ließ, ins Bodenlose sank. 1919 hatte man für 16 österreichische Kronen einen Dollar bekommen, 1921 waren es 177. Gretl, die aus ihrem Erbe den Großteil des Heiratsgutes beisteuerte, brachte Vermögenswerte ein, die auf 1,5 Millionen Kronen veranschlagt waren, sie waren allerdings höchst labil, da sich darunter festverzinsliche Anleihen und Schatzscheine befanden. Sie übernahm auch die Einrichtung und Ausstattung von Schlafzimmer, Esszimmer, Wohnzimmer und Küche, brachte zudem sämtliche Utensilien und Haushaltswäsche ein. Hermine steuerte eine weitere Million in bar bei.
Nach österreichischem Gesetz besaßen Ehemänner seit langem das Pouvoir, das Vermögen ihrer Frauen zu verwalten, falls nichts Gegenteiliges vereinbart worden war. Als Moriz Hermine heiratete, war er für das Management ihres Heiratsgutes verantwortlich geworden. Der Vertrag zwischen Gretl und Paul gab ihm die Vollmacht, dasselbe zu tun und die von Gretl und Hermine eingebrachten 2,5 Millionen Kronen zu investieren, wie er es für richtig hielt. So wie Moriz’ Testament festlegte, dass Hermine die Einrichtungsgegenstände der Wohllebengasse noch zu seinen Lebzeiten gehörten, so bestimmte der Vertrag zwischen Gretl und Paul, dass sie die Besitzerin der Möbel und Ausstattungsgegenstände, die sie beisteuerte, sowie aller ihrer Hochzeitsgeschenke blieb.
Der Vertrag legte zudem fest, dass die gesamten 2,5 Millionen an Gretl zurückfallen würden, falls Paul vor ihr starb – eine Klausel, die dem österreichischen Gesetz entsprach, wonach das Vermögen, das eine Frau in die Ehe mitbrachte, ihres blieb. Falls Gretl vor
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