Wohnraum auf Raedern
als sei der Nackte im dunklen Saal aufgetaucht, kalter Haß durchzuckte ihn. »Schade, daß ich ihn nicht erschossen habe. Schade.« Er begann vor Wut zu k o chen, sein Mund wurde trocken.
Wieder wandte er sich um, ging schweigend zum Fenster und zurück, blieb jedesmal vor der Nische st e hen und betrachtete die Gruppe. So verging eine Vie r telstunde. Plötzlich blieb Tugaj stehen, fuhr sich durch die Haare, griff in die Tasche und drückte auf das Schlagwerk. Zart und geheimnisvoll schlug es in der Tasche zwölfmal, nach einer Pause in einem anderen Ton ein Viertel und nach einer Pause drei Minuten.
»Ach, mein Gott«, flüsterte Tugaj und geriet in Eile. Er blickte sich um, nahm zuerst einmal die Brille vom Tisch und setzte sie auf. Aber jetzt veränderte sie den Fürsten kaum. Seine Augen schielten wie die des Khans auf dem Portrait, nur glomm in ihnen das leise Feuer eines verzweifelten Entschlusses. Tugaj zog Hut und Mantel an, kehrte ins Arbeitszimmer zurück, ergriff behutsam das auf einem Sessel zurechtgelegte Dok u mentenpaket mit Pergamenten und versiegelten Papi e ren, faltete es zusammen und steckte es nicht ohne Mühe in die Manteltasche. Dann setzte er sich ans Schreibpult und betrachtete ein letztes Mal die Stöße von Papieren, verzog das Gesicht und machte sich mit entschiedenen Blicken an die Arbeit. Er rollte die we i ten Mantelärmel hinauf, nahm zuallererst das Man u skript von Ertus, überlas noch einmal die erste Seite, entblößte die Zähne und zerriß es. Ein Fingernagel brach knirschend ab.
»Verdammte Sch...!« fluchte er heiser und ging nun vorsichtiger ans Werk. Er riß einige Seiten ein und verwandelte nach und nach das ganze Heft in Fetzen. Er raffte Haufen von Papieren vom Schreibpult und von den Sesseln zusammen und schleppte ganze Stöße von den Schränken her. Er riß ein kleines Portrait einer elisabethinischen Dame von der Wand, zertrat mit einem Fußtritt den Rahmen zu Spänen, warf die Späne auf den Haufen, auf das Pult und schob es, rot vor Anstrengung, in die Ecke unter das Portrait. Die Lampe nahm er weg, trug sie ins größere Arbeitszimmer, keh r te mit einem Kandelaber zurück und entzündete den Haufen ordentlich an drei Stellen. Rauchwölkchen stiegen auf, Flammen züngelten, das Zimmer belebte sich unerwartet in einem fröhlich flackernden Lich t schein. Nach fünf Minuten konnte man vor Rauch nicht mehr atmen.
Tugaj schloß Tür und Portiere und begann im a n schließenden Arbeitszimmer zu arbeiten. Über das au f geschlitzte Portrait Alexanders I. kroch knatternd eine Flamme, und der Glatzkopf lächelte tückisch im Rauch. Aufgeschlagene Bände brannten stehend auf dem Tisch, der Stoff schwelte. In einiger Entfernung saß der Fürst in einem Sessel und sah zu. Seine Augen tränten jetzt vor Rauch und leuchteten vor tollkühner Lust.
Wieder murmelte er: »Nichts kehrt wieder. Alles ist zu Ende. Lügen ist sinnlos. Dann nehmen wir das also alles mit uns, mein lieber Ertus.«
... Der Fürst ging langsam von Zimmer zu Zimmer, Rauchwolken folgten ihm, der Ballsaal brannte lichte r loh. An den Vorhängen tanzten von innen feurige schwankende Schatten.
Im rosafarbenen Schlafgemach schraubte der Fürst den Brenner der Lampe auf und schüttete das Petr o leum über das Bett; der Fleck breitete sich aus und tropfte auf den Teppich. Den Brenner warf Tugaj auf den Fleck. Zuerst geschah nichts: die Flamme wurde kleiner und verschwand, aber dann sprang sie plötzlich hervor und schoß so hoch empor, daß Tugaj kaum zur Seite springen konnte. Der Bettvorhang entzündete sich eine Minute später und erleuchtete mit einemmal tr i umphierend das ganze Zimmer, bis zum kleinsten Staubkörnchen.
»Jetzt ist es richtig«, sagte Tugaj und beeilte sich.
Er ging durch das Gewächszimmer, durch das Bi l lardzimmer, durchschritt dröhnend den schwarzen Korridor, ging über die geschwungene Treppe in das finstere Untergeschoß, glitt schattengleich durch die vom Mondschein erhellte Tür auf die östliche Terrasse, öffnete sie und ging in den Park. Um nicht Jonas ersten Aufschrei aus dem Wächterhäuschen und Cäsars He u len zu hören, zog er den Kopf zwischen die Schultern und tauchte auf unvergessenen geheimen Pfaden in der Dunkelheit unter ...
Anmerkungen und Hinweise
1 . Anmerkungen
(Die nachfolgenden Hinweise und Erklärungen bleiben auf jene Begriffe, Namen, Personen etc. beschränkt, die für das Verständnis der Texte von Bedeutung oder im Z u sammenhang mit
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