Wolf Shadow Bd. 2 - Magische Versuchung
genommen werden?“
„Nein, die Dame hat sie so geschaffen.“ Nettie näherte sich Lilys Bett. „So, und nun muss ich euch bitten, euch still zu verhalten.“
„Ist das eine religiöse Überzeugung? Eine von Ihren Legenden?“
Rule antwortete. „Das ist eine Tatsache, auch wenn ich nicht von Ihnen erwarte, sie zu glauben.“
„Das müsst ihr später klären“, sagte Nettie. „Sonst muss ich euch bitten zu gehen. Rule …“
„Ich gehe nicht.“
„Dann stell dich an die andere Seite des Bettes. Fass sie nicht an, bevor wir fertig sind.“ Sie nahm Rules’ Platz an Lilys Bett ein. „Wie geht es dir?“
Sie schien es wirklich wissen zu wollen und die Frage nicht nur aus Höflichkeit zu stellen. Und ihre Augen, diese riesigen dunklen Augen … dunkler noch als Rules’, ein tiefes, bodenloses Braun, das manche Menschen für Schwarz hielten. „Mir geht’s gut. Ich weiß nicht, was mich erwartet. Hast du das schon einmal gemacht?“
„Ja, das habe ich. Zwei Mal. Besessenheit kommt so selten vor wie echte Amnesie, deshalb ist meine Erfahrung auch ungewöhnlich. Das erste Mal war es ein Huhn.“
Lily lächelte. „Ein besessenes Huhn. Wie Bunnicula, der Hase, der Karotten den Saft aussaugt. Nur weniger gruselig.“
„Das Huhn hatte zwei Hunde getötet und ein Kind angegriffen. Das andere Mal war es ein Mann gewesen. Er – oder besser der Dämon in ihm – hat versucht, mich zu töten.“
Jetzt war niemand mehr zu Scherzen aufgelegt.
„Er konnte es nicht. Es war ihm verboten. Das sage ich dir, damit du dir keine Sorgen machst. Du und ich, wir werden geschützt sein.“
Wie? Oder vielleicht meinte sie auch: Durch wen?
Nettie lächelte, als habe sie die unausgesprochene Frage gehört und fände sie amüsant. Sie saß auf dem Bett, auf der Höhe von Lilys Hüfte. Ihre Augen waren so dunkel. Verständnisvoll. „Dies hier wird kein Exorzismus, wie ihn Katholiken durchführen. Wir ringen nicht auf spiritueller Ebene mit dem Dämon. Wir stellen die Verbindung zu unseren Göttern über die Erde her. Dämonen sind nicht von dieser Welt, also rufen wir die Mächte dieser Welt an, um den Eindringling zu vertreiben.“
Okay, das ergab Sinn. Irgendwie. „Eure Götter sind nicht meine.“
„Du bist Teil dieser Erde, also bist du eines ihrer Geschöpfe, ob du es nun anerkennst oder nicht. Sie benötigen jedoch dein Einverständnis. Du musst dich freiwillig dem Ritual überlassen.“
Lily überlegte. „Ich bin nicht sehr gut darin, mich etwas zu überlassen, aber ich will das Ritual. Zählt die Absicht auch?“
„Ja, das tut sie. Habe ich also deine Erlaubnis, fortzufahren?“
„Ja.“
„Nun gut. Sei ganz ruhig.“ Nettie jedenfalls war es. Ihr Blick war gelassen, die Augen jedoch riesig, so groß, dass sie Antworten auf alle Fragen bergen konnten, die Lily schon immer stellen wollte, Fragen, die sie immer schon gequält hatten und vielleicht auch manche, die sie nie gewagt hätte zu stellen. „Wir sind hier vollkommen sicher. Du kannst dich entspannen. Ruh dich aus.“
„Ich bin nicht …“ Nicht nervös, hatte sie sagen wollen, aber es schien ihr unhöflich, den Satz zu vollenden. Nettie hatte einen Sprechgesang angestimmt, leise und ruhig – eine tröstende Litanei aus für Lily unverständlichen Worten.
Die einlullenden Töne machten sie schläfrig. Sie kämpfte dagegen an. Sie war auf der Suche nach dem Wissen – dem, das sie in Netties Blick zu sehen geglaubt hatte … demselben Wissen, das die Sterne uns immer versuchen zu geben, dachte sie, wenn wir zu ihnen hinaufschauen. So hoch über uns stehen sie und erzählen uns sanft flüsternd von der Zeit, von ihren eigenen flammenden Herzen und der endlosen Kälte, die dazwischen liegt …
„Wach auf“, sagte jemand leise, „Zeit aufzuwachen, Lily.“
Zwischen zwei Wimpernschlägen hatte sich alles verändert. Nettie saß nicht mehr auf ihrem Bett, sondern stand jetzt. Karonski war ebenfalls auf den Beinen und zog sich sein Jackett über. Cynna hatte den Raum verlassen.
Doch Rule war genau noch dort, wo er vorher schon gewesen war. Neben ihr, an ihrem Bett.
Finster sah Lily Nettie an. „Ich habe geschlafen. Du hast mich einschlafen lassen!“
Nettie lächelte. „Ich habe dich in einen Schlafzustand versetzt, das stimmt. Um zu sehen, ob da noch jemand anderes ist, musste ich dich erst einmal aus dem Weg schaffen.“
„Bist du fertig?“
„Alles erledigt. Und du bist nicht besessen.“
Rule legte eine Hand auf ihren Arm. Sie
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