Wolf Shadow Bd. 3 - Dunkles Verlangen
Stattdessen war dort jetzt ein vietnamesischer Schnellimbiss. Aber die Wäscherei gab es noch, und auch das Gebäude sah aus wie immer – alt, schäbig und grau. Alles in dieser Straße war grau. Wenn man hier von Farbe sprach, meinte man entweder Hautfarbe oder Gangs.
Sie sah mehr weiße Gesichter als in ihrer Jugend; endlich erreichte die Integration auch das Ghetto. Als Kind war sie in dieser Gegend etwas Besonderes gewesen. Aber die meisten hatten immer noch braune Haut in den unterschiedlichsten Schattierungen.
Die Straße hatte sich verändert, stellte Cynna fest, aber nicht genug. Sie hoffte, dass das nicht auch auf sie zutraf.
Die Kälte war so schneidend, wie sie es nur in einem Winter in Chicago sein konnte. Komisch eigentlich, denn sie war schon an kälteren Orten gewesen, aber der Winter in Chicago ging einem bis auf die Knochen.
Der dicke Schneematsch machte das Überqueren der Straße zu einem Abenteuer – das Cynna jedoch bestand. Sie schob ihre behandschuhten Hände in die Manteltaschen. Zum einen wegen der Kälte … zum anderen aber auch, um nicht an das kilingo erinnert zu werden, mit dem Jiri eine ihrer Handflächen gezeichnet hatte. Bis jetzt war es noch nicht aktiv, aber das würde nicht so bleiben. Jiri hatte es dort nicht zum Spaß angebracht.
Sie musste es unbedingt loswerden. Doch dazu könnte sie Hilfe gebrauchen, gestand sie sich ein. Cullens Blick, genauer gesagt. Selbst bei einem Zauber, den sie kannte, den sie sich selbst auf die Haut aufgetragen hatte, war das heikel. Und sie hatte keine Ahnung, wie sie einen ihr unbekannten Zauber loswerden sollte.
Sie würde ein wenig Energie in den Zauber fließen lassen müssen, damit er ihn sehen konnte, ganz wenig nur. Das dürfte nicht allzu riskant sein. Ein Zauber, der so komplex war wie dieser, brauchte mehr als nur ein bisschen Energie, um zu wirken. Dann würde er sehen, wie die Magie sich darin bewegte, und sie würden beide gemeinsam herausfinden, wie man ihn rückgängig machen konnte.
Wenn er denn endlich geruhen würde, zu erscheinen.
Sie gab zu, zuerst war sie sauer gewesen, als er so einfach abgehauen war. Rule sagte, sich davonzumachen wäre für Cullen überlebenswichtig gewesen, als er noch ein einsamer Wolf war. Wenn sein Temperament mit ihm durchging, verschwand er sofort, ohne jede weitere Diskussion. Und er kam erst zurück, wenn er sich wieder beruhigt hatte. Jetzt, da er ein Nokolai war, war dieses Verhalten wahrscheinlich nicht mehr vonnöten; wenn man in einem Clan lebte, sah man viele Dinge nicht so eng, aber die Gewohnheit saß tief. Wenn er wütend wurde, zog er sich zurück.
Offenbar hatte er sich nicht abgeregt. Sie allerdings hatte sich damit abgefunden. Sie hätte es besser wissen müssen und sich gar nicht erst aufregen sollen. Gut, sie waren kurz davor gewesen, miteinander zu schlafen, aber was bedeutete das schon? Es konnte schnell gehen, dass man Sex hatte. Es war bis jetzt nur deswegen noch nicht passiert, weil immer etwas dazwischengekommen war, aber es würde passieren. Freundschaft dagegen brauchte Zeit. Erst hatte man Gründe, warum man sich gegenseitig mochte, dann kam Respekt hinzu, und dann ließ man das Ganze köcheln, bis echtes Vertrauen entstand.
Vielleicht würden sie und Cullen es sehr lange köcheln lassen müssen, bevor sie sich vertrauten.
Sie überquerte die Straße. Ein Wagen schoss bei Gelb über die Straße und spritzte sie mit eisigem Schneematsch voll. Automatisch zeigte sie ihm den traditionellen Ein-Finger-Gruß. Hm … Der Fahrer war Chinese. Nein, wahrscheinlich war er Vietnamese; ein paar Einwanderer aus diesem Land waren ein paar Straßen weiter östlich dabei, den Slum bewohnbar zu machen.
Dabei musste sie an Lily denken. Sie fragte sich, was Lily wohl von dem Chicagoer Wetter halten würde. Sie fand es ja schon in D.C. so kalt.
Cynna schnaubte, aber es deprimierte sie, an Lily zu denken, während sie diese Straße hinunterging. Die kleine Geisha war vielleicht in Gegenden wie dieser Streife gegangen, aber sie hatte nie hier leben müssen. Sie war behütet aufgewachsen. Cullen dagegen … sie hatte das Gefühl, dass er in jeder Stadt, in der er je gelebt hatte, die gefährlichen Orte kannte. Als er clanlos gewesen war, hatte er sich ziemlich viel herumgetrieben. Doch sie war sich recht sicher, dass er nicht in so einer Umgebung aufgewachsen war. Lupi ließen ihre Kinder nicht in Armut und ohne Hoffnung aufwachsen.
Cynna warf einen Blick nach links. Drei Blocks
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