Wolf Shadow Bd. 3 - Dunkles Verlangen
weiter, dachte sie. Wenn sie jetzt drei Blocks nach Westen und zwei nach Norden gehen würde, könnte sie das Haus sehen, in dem sie gewohnt hatte.
Na toll.
Die Adresse, die Lily ihr genannt hatte, gehörte zu einem alten Wohnhaus, das sich müde gegen seine Nachbarn lehnte. In dem winzigen Eingangsbereich ließ sie den Blick suchend über die Pappfetzen gleiten, die als Namensschilder dienten.
H. Franklin wohnte im fünften Stock. Das hätte sie sich ja denken können. Da das Gebäude kein wie auch immer geartetes Sicherheitssystem zu haben schien, stieg sie einfach die Treppe hinauf.
Die nackten Birnen, die das Treppenhaus beleuchteten, hatten nur vierzig Watt, und das war auch ganz gut so. Man wollte lieber nicht so genau wissen, worauf man hier trat. In den Ecken sammelte sich der Müll, und die Stufen waren klebrig. Und der Geruch traf sie mitten ins Hirn. Kohl, Urin, verbranntes Fleisch, Zwiebeln. Im zweiten Stock stieg ihr ein Hauch von Haschisch in die Nase.
Wenn man hier wohnte, dachte sie, nahm man die Gerüche nicht mehr so gut wahr. Sie schob ihren Mantel zurück, um falls nötig schnell an ihre Waffe zu kommen. Gewöhnung stumpfte ab. Irgendwie freute es sie, dass ihre Nase den Gestank wieder roch.
Im dritten Stock wurde in schrillem Spanisch gestritten. Im vierten lärmten ein schreiendes Baby und ein lauter Rap auf der einen Seite und ein dröhnender Fernseher auf der anderen um die Wette. Sie hatte den nächsten Treppenaufgang gerade zur Hälfte geschafft, als laute Schritte ankündigten, dass ihr jemand entgegenkam, und zwar ziemlich schnell.
Schnelle schwere Schritte, wahrscheinlich ein Mann. Auf keinen Fall ein Kind. Sie machte ihren Betäubungszauber bereit.
Als er sie sah, blieb er stehen. Es war ein Mann um die vierzig mit mittelbrauner Hautfarbe und lockigem Haar. Wahrscheinlich hatte er einen lateinamerikanischen und einen weißen Elternteil, aber er würde sich wohl als schwarz bezeichnen. Er trug ein Durag, ein hinten gebundenes Rapperkopftuch, eine Jeans, die viel zu groß war für seinen dünnen Hintern, und eine alte Lederjacke über einem schmutzigen T-Shirt. Alles, was er trug, war entweder schwarz oder grau. Keine Farben, auch nicht die Farben einer Gang.
Seine Augen weiteten sich. Da wusste sie Bescheid. Er sah ihr Gesicht mit den Tattoos und hatte Angst. „Hamid Franklin?“, fragte sie und ging eine Stufe weiter auf ihn zu.
„Ich bin tot“, sagte er mit dünner Stimme. „Oh Gott, ich bin ein toter Mann.“
„Cynna Weaver.“ Sie steckte die Hand in die Tasche und zog die Polizeimarke hervor. „Ich bin vom FBI .“
Er sah ihren Ausweis gar nicht erst an, sondern schüttelte nur den Kopf. „Sie sind vom FBI ? Na klar, Schwester, und ich bin vom Pentagon. Hören Sie zu.“ Er trat eine Stufe hinunter, mit ausgestreckten Händen, um ihr zu zeigen, dass sie leer waren. „Ich hab nix gesagt. Is mir egal, wenn jemand was andres behauptet, ich hab nix gesagt. Nie. Geben Sie mir ’ne Chance. Sie können mich mit einem Zauber belegen, dann seh’n Sie, dass ich die Wahrheit sag.“
„Ich gehöre nicht zu Jiri“, sagte sie ruhig. „Nicht mehr. Ich bin vom FBI , wie ich schon sagte. Hör zu, Mann, wenn Jiri Sie tot sehen wollte, dann würde sie keine Person schicken. Das sollten Sie doch wissen.“
Für einen Moment war er still, dann nickte er. „Ja. Ja. Sie haben recht. Sie würde einen ihrer Dämonen schicken, oder? Aber Sie … Moment mal. Wie war noch gleich Ihr Name? Cynna? Ich hab von Ihnen gehört.“ Er sah sich um, als würde jemand in dem engen Treppenschacht auf sie lauern. „Sie waren ihr Günstling. Ganz genau. Ist lange her. Sie sind gegangen.“
„Nicht ihr Günstling. Ihr Lehrling. Aber bin gegangen, das stimmt.“
Jetzt, da die Angst schwand, wurde sein Blick trotzig. „Was wollen Sie?“
„Reden wir in Ihrer Wohnung weiter. Sie wollen doch sicher nicht, dass jemand mithört.“
Es erforderte einige Überzeugungsarbeit, aber schließlich gelang es ihr, ihn dazu zu bewegen, die Treppe hinauf- und zurück in seine Wohnung zu gehen. Dort sah es genauso aus, wie sie erwartet hatte: eine Matratze auf dem Boden in der Ecke, überall Fastfood-Behälter und zwei Sessel.
Er bot ihr nicht an, sich zu setzen, was ihr auch ganz recht war. Sie wollte lieber nicht so genau wissen, was das für Flecken auf diesen Sesseln waren und was in den durchgesessenen Polstern lebte. Er war tierisch zappelig. Wahrscheinlich kam er gerade wieder runter von irgendeinem
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