Wolf Shadow Bd. 3 - Dunkles Verlangen
Sein Denken war scharf, sein Ziel war klar: dafür sorgen, dass die anderen am Leben blieben, Brady töten. „Er ist nicht allein“, sagte er sachlich, „und die anderen werden nichts unternehmen, auch nicht die, die ihn hassen. Nicht während der Ernennungszeremonie.“
„Ich kann ihm sein Spielzeug wegnehmen“, sagte Benedict. „Kleine Jungs dürfen nicht mit Schusswaffen spielen.“
„Keiner bewegt sich“, sagte Brady. „Wenn ihr einem Freund winkt oder euch auch nur an der Nase kratzt, könnte ich das als Bedrohung auffassen.“
Rule begann, mit seiner inneren Stimme zu sprechen, und zwar so leise, dass nur Benedict und vielleicht noch Cullen ihn verstehen konnten: Gebt mir eine Sekunde, dann stelle ich mich vor Lily. Wenn er einen Schuss abgeben kann …
Lily schien seine Gedanken zu lesen. Sie schob sich langsam rückwärts, und aus den Augenwinkeln sah er, dass sie die Hand in ihre Jacke gleiten ließ.
„Äh, äh, äh!“ Brady visierte Rules Stirn an. „Es sei denn, du willst herausfinden, wie schnell deine Süße Hirnmasse heilen kann.“
Benedict dachte über Rules Vorschlag nach, schüttelte dann aber ganz sacht den Kopf. Er würde dich erwischen, bevor ich ihn aufhalten kann. Wir müssen ihn eine Sekunde ablenken. Seabourne …
„Leidolf.“ Victors Stimme übertönte den Lärm. Er wandte sich an seinen Clan. „Wenn ihr hören wollt, dann schweigt.“
Cullens Stimme war selbst für Rule kaum zu hören: Ich kann kein Feuer werfen, ohne eine Bewegung zu machen.
Victor rief: „Ich ernenne Alex Thibodaux zum Lu Nuncio.“
Ein vielstimmiges Brüllen erhob sich aus der Menge. Rule hörte es, ohne den Blick von Brady abzuwenden, doch der Mistkerl ließ sich nicht eine Sekunde lang ablenken. Also hatte er damit gerechnet. Doch das ergab keinen Sinn. Thibodaux hatte nicht das richtige Blut, er durfte den Clan nicht anführen. Wenn Victor nicht den Verstand verloren hatte, dann …
„Leidolf“, schrie Victor. „Schweigt! Alex wird unser neuer Lu Nuncio sein … nicht unser Thronfolger.“
Was, zum Teufel …?
„Ja, ich breche mit der Tradition“, sagte Victor gerade. „Aber es gibt einen Präzedenzfall. Der Thronfolger muss kein Lu Nuncio sein. Ich habe mich mit unserer Rhej beraten und mit meinen Räten. Der Clan der Etorri hat keinen Lu Nuncio …“
„Wir sind keine Etorri!“, schrie jemand. Andere begannen zu skandieren: „Leidolf! Leidolf!“ Wieder andere riefen Namen in die Menge: Reese. Thomas. Max. Phillip.
Niemand rief Bradys Namen. Warum sah er dann so verdammt selbstzufrieden aus?
Victor musste schreien, damit man ihn hören konnte. „Die Leidolf haben die Positionen schon zweimal voneinander getrennt, als das Blut dünn geworden war und es keinen passenden Thronfolger gab, der wie ein Lu Nuncio hätte handeln können. Es war vorübergehend. Nur vorübergehend!“, wiederholte er jetzt leiser, nachdem die Menge sich beruhigte. „Das Blut ist dünn geworden, Leidolf. Und ich sterbe.“
Dieses Mal trat Stille ein. „Ihr braucht einen Lu Nuncio, dem ihr vertraut. Ich gebe euch Alex. Wenn ich in sechs Monaten noch lebe, werde ich euch hier zusammenrufen, um den Thronfolger zum Lu Nuncio zu ernennen. Wenn nicht … werdet ihr einen Rho und einen Lu Nuncio brauchen.“
Jetzt hörten alle zu, aufmerksam und ohne sich zu rühren. Rule wusste, was sie dachten, so genau, als hätte er auf einmal die Gabe der Telepathie: dass Victor Brady zum Thronfolger machen wollte und hoffte, er könnte ihn ihnen dadurch schmackhafter machen, dass er ihm die Position des Lu Nuncio verweigerte.
Wenn es so war, dann war Victors Plan nicht aufgegangen. Das war kein zustimmendes Schweigen, sondern das Schweigen von tausend Jägern, die sich ihrer Beute nicht sicher waren.
„Es gibt mehrere im Clan, die die Position bekleiden könnten“, fuhr Victor fort. „Ich weiß, auch wenn es mich schmerzt, dass einige von euch nicht wollen, dass mein Sohn es wird. Mein einziger lebender Sohn.“ Seine Stimme stockte kurz. „Also biete ich euch einen anderen traditionellen Weg an. Wir sind diesen Weg zwar schon lange nicht mehr gegangen, doch ist es ein alter und ehrenvoller Weg. Statt meinen Thronfolger zu benennen, gebe ich die Würde des Amtes frei, auf dass sie ihre Wahl selber treffe.“
Daraufhin ging ein Summen durch die Menge, es wurde geflüstert und subvokalisiert. Die Leidolf waren geschockt, aber diese Tradition, die in der Tat sehr alt war, war für sie verständlich. Doch wer
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