Wolf Shadow Bd. 4 - Finstere Begierde
Lily in einem Ton, der offenließ, ob sie eine Frage stellte oder eine Feststellung machte. „Es muss sehr schwach gewesen sein. Der Ring hat nicht deiner Mutter gehört, und sie ist schon lange von uns gegangen, nicht wahr?“
„Tot“ war ein Wort, das Lily nicht benutzte. Die Menschen mieden das Wort wie einen Hundehaufen auf dem Bürgersteig. Ihr Vater war gegangen. Ihre Mutter war tot. Das war nicht dasselbe. „Sie ist vor zwanzig Jahren gestorben. Ja, das Muster war alt und sehr schwach. Aber es war das meiner Mutter.“
„Kannst du wirklich ein zwanzig Jahre altes Muster aus einem Objekt erspüren, das noch nicht einmal ihr gehört hat?“
„Eheringe sind anders. Sie sind aufgeladen mit …“
Gans Quietschstimme unterbrach sie. „Was ist das?“ Sie tauchte aus der Vorratskammer auf, in der Hand eine Tüte mit Salzgebäck in Fischform. „Da sind Fischlis drin.“
„Das sind Kräcker“, sagte Lily. „Cynna, wenn diese Leute wirklich erfahrene Magier sind, ist es doch möglich, dass …“
Gan stopfte sich eine Handvoll Kräcker in den Mund. Und spuckte sie sofort wieder aus. „Bah, bah, bah. Das ist kein Essen!“
„Ernährungswissenschaftler würden wohl mit dir einer Meinung sein“, sagte Lily trocken. „Das heißt aber nicht, dass man es auf den Boden spucken darf. Hol ein paar Küchentücher und wisch es auf.“
„Keine Lust.“ Gan drehte sich um, um wieder in der Speisekammer zu verschwinden.
Rule riss eine Handvoll Küchentücher von der Rolle und ging zu der kleinen Nicht-ganz-Dämonin. Er packte Gan bei der Schulter. „Du hast den Dreck gemacht. Mach ihn auch wieder weg.“
Gan funkelte ihn böse an. „Aua! Das tut weh!“
„Und es kann noch mehr wehtun.“
„Ich habe dich lieber gemocht, als du ein Wolf warst. Und damals mochte ich dich überhaupt nicht.“ Aber sie nahm die Küchentücher.
Lily verfolgte das Ganze mit gerunzelter Stirn. „Sie ist dir gegenüber gar nicht mehr so bockig wie früher.“
„Wahrscheinlich sind ihre Selbstheilungskräfte nicht mehr so gut wie früher“, sagte Cynna trocken. Dann bemerkte sie, wie Rule Lily mit zärtlicher Verwunderung ansah. „He, du hast dich an etwas erinnert, was du vergessen hattest, oder?“
„Nur Bruchstücke.“ Lily legte den Kopf in den Nacken, um Rule anzulächeln, der hinter sie getreten war. Sie fassten sich bei den Händen. „In letzter Zeit kommen die Erinnerungen immer häufiger.“
Das Band der Gefährten brachte es mit sich, dass sie, wie Cullen sagte, nicht die Finger voneinander lassen konnten. Die Drähte in Cynnas Adern spannten sich straffer. Cullen. Er war immer noch im Hauptquartier, befragte den Gnom über Zaubertechniken und -theorien und war vor Aufregung völlig aus dem Häuschen. Durch das ganze Theater hatte er bisher noch keine Gelegenheit gefunden, mit ihr zu sprechen.
Oder er hatte einfach vergessen, dass sie etwas zu besprechen hatten. So war er. Tatsächlich war sie erstaunt gewesen, wie regelmäßig er angerufen hatte. Sie hatte erwartet, dass er nach ein paar Anrufen aufgeben würde – oder dass er einfach vor ihrer Tür gestanden hätte. Er war eben kein geduldiger Mann.
Aber vielleicht war sein Wolf geduldig. Diesen Teil von ihm kannte sie nicht.
Nach einem Moment ließ Rule Lilys Hand los und ging zur Kaffeemaschine, um sich noch einen Becher einzugießen. Rule liebte Kaffee. Cynna wusste nicht, warum. Koffein brachte ihm keinen Kick. Sein Stoffwechsel baute Drogen so schnell ab, dass sie keine Wirkung auf ihn hatten. Also musste es am Geschmack liegen, was nur bewies, dass Dämonen nicht die Einzigen waren, die seltsame Geschmacksknospen hatten.
Er lehnte sich gegen die Anrichte, nippte und sah Cynna an. Seine dunklen Augen, sein ruhiger Blick – das war ihr als Zweites an ihm aufgefallen, als sie sich vor langer Zeit das erste Mal begegnet waren. „Diese Leute sind uns weit voraus, was die Arbeit mit magischen Ritualen angeht. Ist es möglich, dass der Gnom dich mit den Mustern getäuscht haben könnte?“
„Theoretisch ja. Alles ist möglich. Aber einiges ist so unwahrscheinlich, dass wir es außer Acht lassen können. Es ist nicht wahrscheinlich, dass du als Katze aufwachst. Es ist nicht wahrscheinlich, dass ich ein Muster verwechsle, vor allem eines, das ich so gut kenne. Wenn sie gut genug sind, um mich zu täuschen, dann brauchen sie keinen Finder.“
„Wenn es wirklich das ist, was sie von dir wollen.“
Unbehagen kroch Cynnas Rücken hoch, als sie
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