Wolf unter Wölfen
junge Mann hat mit gerunzelter Stirn und vorgeschobenem Kinn dem Abtransport des tobenden Händlers zugesehen. Jetzt merkt der Sekretär, daß dies Gesicht doch nicht so offen ist, wie er dachte, es liegt Trotz darin und ein verbohrter Eigensinn. Auch kennt der Sekretär diesen krampfigen Gesichtsausdruck; es haben ihn manche Männer, wenn sie einen Uniformierten Gewalt gegen einen Zivilisten brauchen sehen. Solche Männer – die geborenen Löcker wider den Stachel – sehen dann rot, ganz besonders, wenn sie ein wenig getrunken haben.
Aber dieser junge Bursche hat sich recht gut in der Gewalt. Fast mit einem Aufatmen wendet er den Blick von dem Abtransport fort, sobald die Eisentür zu dem hinteren Zellengang wieder geschlossen ist. Er ruckt in dem etwas zu engen Waffenrock mit der einen Schulter, geht an den Tisch und sagt ein wenig herausfordernd, eine Spur trotzig, aber vollkommen anständig: »Ich heiße Pagel. Wolfgang Pagel.«
Der Sekretär wartet, aber weiter kommt nichts. »Ja«, sagt der Sekretär dann, »und Sie wünschen?«
»Ich werde hier wohl erwartet«, antwortet der junge Mann fast ärgerlich. »Pagel, Pagel aus der Georgenkirchstraße.«
»Ach so«, sagt der Sekretär. »Ja, richtig. Wir haben einenMann zu Ihnen geschickt. Wir hätten Sie gerne gesprochen, Herr Pagel.«
»Und Ihr Mann hat meine Wirtin genötigt, einen Strafantrag gegen mich zu unterschreiben!«
»Nicht genötigt. Kaum genötigt«, verbessert der Sekretär. Und in dem festen Entschluß, mit dem jungen Mann im guten auszukommen: »Wir haben kein besonderes Interesse an Strafanträgen. Wir ersticken.«
»Trotzdem haben Sie vollkommen grundlos meine Frau verhaftet«, sagt der junge Mann heftig.
»Nicht Ihre Frau«, verbessert der Sekretär wieder. »Ein lediges Mädchen – Petra Ledig, nicht wahr?«
»Wir wollten heute mittag heiraten«, sagt Pagel und wird ein wenig rot. »Unser Aufgebot hängt auf dem Standesamt.«
»Die Festnahme erfolgte erst heute nachmittag, nicht wahr? Und mittags haben Sie also nicht geheiratet?«
»Nein«, sagte Pagel. »Aber es wird rasch nachgeholt. Ich hatte heute vormittag nur kein Geld.«
»Ich verstehe«, sagte der Sekretär langsam. Aber sein Gallenleiden brachte ihn doch dazu, noch zu sagen: »Also doch ein lediges Mädchen, nicht wahr?«
Er schwieg, sah auf den grünen, tintenbefleckten Filz vor sich. Dann griff er nach dem Papierstoß links, holte ein Blatt hervor und sah darauf. Er vermied es, den jungen Mann anzusehen, konnte es nun aber doch nicht lassen, wiederum zu sagen: »Und auch nicht grundlos festgenommen. Nein.«
»Wenn Sie die Betrugsanzeige der Wirtin meinen – ich habe eben die Rechnung bezahlt. Die Wirtin wird innerhalb zehn Minuten hier sein und den Strafantrag zurücknehmen.«
»Heute abend haben Sie also Geld«, lautete die überraschende Antwort des Sekretärs.
Pagel hatte Lust, diesen gallengelben Mann zu fragen, was ihn das anginge, aber er ließ es. Statt dessen fragte er: »Ist der Strafantrag zurückgenommen, steht der Entlassung von Fräulein Ledig nichts mehr im Wege, nicht wahr?«
»Ich glaube, doch«, sagte der Sekretär.
Er war sehr müde, all dieser Dinge müde, und vor allem fürchtete er sich vor Streit. Er hätte gerne in seinem Bette gelegen, die Wärmflasche auf dem Bauch; seine Frau würde ihm die heutige Romanfortsetzung aus der Zeitung vorlesen. Statt dessen würde es unbedingt Streit mit diesem jungen Manne geben, der erregt war; seine Stimme wurde immer schneidiger. Stärker aber als das Ruhebedürfnis des kranken Sekretärs würde die Gereiztheit sein, die ununterbrochen aus seiner Galle sickerte und ihm das Blut vergiftete.
Aber noch hielt er an sich; von all seinen Argumenten wählte er das schwächste, um diesen Herrn Pagel nicht noch mehr aufzubringen: »Als sie festgenommen wurde, war sie obdachlos und nur mit einem Herrenüberzieher bekleidet.« Er beobachtete die Wirkung seiner Worte auf Pagels Gesicht. Er erklärte: »Erregung öffentlichen Ärgernisses.«
Der junge Mann war sehr rot geworden. Er sagte eilig: »Das Zimmer ist bereits wieder gemietet und bezahlt. So hat sie ein Obdach. – Und was ihre Kleider angeht, so kann ich in einer halben, in einer Viertelstunde ihr so viel Kleider und Wäsche kaufen, wie gewünscht wird.«
»Sie haben also auch dafür Geld? Ziemlich viel Geld?«
Der Sekretär war Kriminalist genug, alles, was ein Vernommener nebenher zugab, sofort festzunageln.
»Genug! Dafür genug!« sagte Wolfgang
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