Wolf unter Wölfen
Tür, da fällt ihm ein, daß er keine Zigaretten mehr hat. Er kehrt um und verlangt ein Päckchen Lucky Strike. Aber Lucky Strike haben sie nicht, dafür haben sie Camel. Auch nicht schlecht, denkt Pagel, nimmt Camel, brennt sich eine an und verlangt noch einen Wermut.
Eine Weile steht er vor der Theke, es fröstelt ihn ein wenig in seiner nassen Kleidung, der fuselige Wermut hilft auch nicht dagegen. So nimmt er noch einen doppelten Kognak, zwei Stock hoch, aber der schmeckt scheußlich nach Sprit. Doch steigt jetzt eine leichte Wärme aus seinem Magen auf und verbreitet sich langsam in ihm. Es ist nur eine physische Wärme, die nicht zu ihm gehört, sie vermittelt nicht jenes Gefühl gelassenen Glücks, das Petra nach dem Verzehren des Brotkantens empfand.
Pagel steht lässig da, er sieht gleichgültig durch den riechenden Schankraum mit seinen randalierenden Gestalten. Eine grenzenlose Verzweiflung hat ihn plötzlich erfaßt; er ist überzeugt, daß schon jetzt, ehe er noch einen Schritt für Petra getan hat, alles mißglückt ist. Es macht nicht mehr das geringste aus, daß dies sorgsam behütete Geld nun doch angerissen wurde. Ja, er möchte eher, daß es dahinflösse, sich verstreute – möglichst, ohne daß er etwas dabei tun muß –, denn was kann Geld helfen? Aber wenn Geld nicht hilft – was hilft dann?! Ach, muß denn überhaupt immer geholfen werden?! Es ist ja doch alles ganz egal!
So steht er da. Am liebsten stände er immer so weiter da; jeder Schritt, den er tut, bringt ihn einer Entscheidung näher, die er nicht fassen mag, die er hinauszögern will bis aufs letzte. Ihm fällt ein, daß er eigentlich den ganzen Tag nichts anderes getan hat als hinauszögern. Wenn er erst Geld hatte, dann wollte er etwas tun, dann würde er losgehen, so groß –! Nun hatte er Geld – und stand geruhsam abwartend an einer Theke.
Ein junger Bengel, die Schiebermütze schief auf einem Ohr, tritt an ihn heran, schnuppert nach dem Rauch und bettelt um eine Zigarette: »Schenk mir doch eine, ich bin wild auf die süßen Engländer. Mensch, sei doch nicht so, gib mir wenigstens deine Kippe!«
Wolfgang schüttelt leise lächelnd ohne ein Wort den Kopf, das Gesicht des Burschen wird plötzlich finster. Er dreht sich um und geht. Wolfgang faßt in die Tasche, holt in der Tasche aus dem Päckchen eine Zigarette, ruft scharf: »Fang!« und wirft die Zigarette dem Burschen zu. Er fängt sie, nickt kurz – und sofort sind drei oder vier Bengel um Pagel und betteln auch um Zigaretten. Er zahlt rasch an der Theke, sieht die Blicke der Jungen auf seinem dicken Geldpacken und rempelt den einen, der sich an ihn drängen will, beim Hinausgehen kräftig mit der Schulter.
Er hat nur noch drei Minuten bis zu seiner Wohnung, und diesmal braucht er wirklich nur drei Minuten für den Weg. Er klingelt bei der Pottmadamm. Wie die Klingel rasselt, spürt erplötzlich, daß die kleine Belebung, die aus dem Zusammenstoß in der Destille aufgestiegen war, schon wieder verflogen ist – die grenzenlose Traurigkeit hat ihn von neuem erfaßt. Sie scheint sich schwer und lastend in ihm auszubreiten, wie die dunkle Gewitterwolke heute nachmittag am Himmel.
Er hört den widerlichen Schlurfeschritt der Pottmadamm auf dem Flur, ihr schleimiges, fettes Hüsteln. Diese Geräusche verändern schon wieder die Wolke Trauer in ihm, etwas zieht sich zusammen. Er spürt, er wird dieser Frau noch etwas tun, er wird sie strafen für das, was geschehen – gleichgültig, was immer geschah.
Die Tür öffnet sich vorsichtig nur einen Spalt breit, aber von einem Fußstoß Pagels fliegt sie ganz auf, groß steht er vor der erschreckten Frau.
»Jotte doch, Herr Pajel, wat haben Se mir erschreckt!« jammert sie.
Er steht ohne Laut vor ihr, vielleicht wartet er darauf, daß sie etwas sagt, daß sie anfängt von dem, was geschehen. Aber er hat ihr wohl wirklich einen Schreck eingejagt, sie bringt kein Wort heraus, sie streicht nur immer mit den Händen über die Schürze.
Plötzlich – Pagel selber hat die Sekunde vorher nicht gewußt, daß er dies tun würde – tritt er hinein in den dunklen Flur, rempelt wie vorhin in der Destille mit der Schulter die aufkreischende Frau und geht ohne Zögern in den dunklen Flur hinein, auf sein Zimmer zu.
Frau Thumann, die aufkreischte, stürzt hinter ihm drein. »Herr Pajel! Herr Pajel! Bitte doch bloß uff eenen Momang!« flüstert sie aufgeregt.
»Nun?« fragt er und bleibt mit rascher Wendung so plötzlich vor ihr
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