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Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Fallada
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heftig. »Sie wird dann also entlassen?«
    »Die Läden sind jetzt geschlossen«, antwortete der Sekretär.
    »Egal!« rief Pagel. »Ich beschaffe die Kleider trotzdem!« Und fast bittend: »Sie entlassen Fräulein Ledig?«
    »Wie gesagt, Herr Pagel«, antwortete der Sekretär, »wir hätten Sie auch unabhängig von dieser Geschichte gerne einmal gesprochen. Darum haben wir ja auch einen Beamten bei Ihnen vorbeigeschickt.«
    Der Sekretär flüsterte noch einen Augenblick mit einer Uniform. Die Uniform nickte kurz und verschwand.
    »Aber Sie stehen noch immer, bitte, nehmen Sie doch einen Stuhl.«
    »Ich will keinen Stuhl! Ich verlange, daß meine Freundin sofort entlassen wird!!« schrie Pagel.
    Aber er riß sich im gleichen Augenblick zusammen.
    »Entschuldigen Sie«, sagte er leiser. »Das wird nicht wieder vorkommen. Ich bin sehr in Sorge. Fräulein Ledig ist ein sehr gutes Mädchen. An allem, was man ihr vorwerfen kann, bin ich allein schuld. Ich habe die Miete nicht bezahlt, ich habe ihre Kleider verkauft. Bitte, geben Sie sie frei!«
    »Bitte, setzen Sie sich«, antwortete der Sekretär.
    Pagel wollte aufbrausen, besann sich und setzte sich.
    Es gibt eine Art von Vernehmung durch Kriminalisten, die fast alle Menschen, und gewiß jeden Unerfahrenen, völlig zermürbt. Sie ist fern jeder Milde, aller Menschlichkeit. Sie kann auch nicht anders sein. Der Vernehmende, der in den meisten Fällen eine Tatsache entdecken soll, die der Vernommene um keinen Preis zugeben will, muß den Befragten um Sinn und Verstand bringen, daß ihm diese Tatsache wider seinen Willen entschlüpft.
    Der Sekretär hatte einen Mann vor sich, der einer vagen Beschuldigung nach sein Geld durch gewerbsmäßiges Falschspiel verdiente. Der Mann würde die Richtigkeit dieser Beschuldigung in ruhigem, besonnenem Zustande nie zugeben. Um ihn unbesonnen zu machen, mußte man ihn reizen. Oft ist es schwer, etwas zu finden, was einen Beschuldigten so reizt, daß er darüber die Besinnung verliert. Hier hatte der Sekretär sofort gefunden, was er brauchte: Dieser Mann schien in wirklicher, unverlogener Sorge um sein Mädchen zu sein. Das mußte der Hebel werden, mit dem die Tür zu einem Geständnis zu öffnen war. Aber ein solcher Hebel war nicht mit Zartheit zu benutzen; man befreit nicht die Bauern aus dem Osten von einem Kümmelblättchenspieler durch sanfte Rücksichtnahme. Man mußte diesen jungen Mann besonders kräftig anfassen, er hatte Selbstbeherrschung, er hatte eben nicht getobt, er hatte sich auf den Stuhl gesetzt.
    »Ich müßte Sie nach ein paar Dingen fragen«, sagte der Sekretär.
    »Gerne«, antwortete Pagel. »Nach was Sie wollen. Wenn Sie mir nur zuerst bestätigen würden, daß Fräulein Ledig heute abend noch entlassen wird.«
    »Darüber können wir uns noch unterhalten«, sagte der Sekretär.
    »Sagen Sie es mir doch bitte gleich«, bat Pagel. »Ich bin unruhig. Seien Sie«, sprach er, »seien Sie nicht unmenschlich. Quälen Sie mich nicht. Sagen Sie ja.«
    »Ich bin nicht unmenschlich«, antwortete der Sekretär. »Ich bin Beamter.«
    Pagel lehnte sich entmutigt, gereizt zurück.
    Durch die Tür kam ein großer, schwerer, uniformierter Mann, er hatte einen grauschwarzen Wachtmeisterschnurrbart und sah traurig aus, mit dicken, geschwollenen Tränensäcken unter großen Augen. Der Mann trat hinter den Stuhl des Sekretärs, er nahm seine Zigarre aus dem Mund und fragte: »Ist er das?«
    Der Sekretär legte den Kopf zurück, sah zu seinem Vorgesetzten auf und sagte, recht vernehmlich flüsternd: »Das ist er!«
    Der Reviervorsteher nickte langsam, sah Pagel lange prüfend an und sagte: »Fahren Sie fort!« Er rauchte weiter.
    »Nun zu unsern Fragen …«, fing der Sekretär an.
    Aber Pagel unterbrach ihn. »Sie gestatten, daß ich mir eine Zigarette anbrenne?«
    Er hatte das Päckchen schon in der Hand.
    Der Sekretär klopfte mit der Hand auf den Tisch. »In den Diensträumen ist das Rauchen untersagt – für das Publikum.«
    Der Reviervorsteher zog kräftig an seiner Zigarre. Ärgerlich, nein, wütend steckte Pagel seine Zigaretten wieder ein.
    »Nun zu unsern Fragen …«, fing der Sekretär wieder an.
    »Einen Augenblick«, unterbrach der Reviervorsteher und legte seine große Hand dem Sekretär auf die Schulter. »VernehmenSie den Mann in seiner eigenen Sache oder in der von dem Mädchen?«
    »Ich habe hier also auch eine eigene Sache?« fragte Pagel verwundert.
    »Das werden wir dann sehen«, sagte der Sekretär. Und zu

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