Wolf unter Wölfen
rief Amanda rasch, ehe noch aus dem Gniggern ein Lachen wurde.
Die gnädige Frau nickte: »Ja, das solltest du tun, Amanda!«
Amanda aber biß sich auf die Lippen, daß sie grade so einen Liedanfang genannt und es der Gnädigen so leicht gemacht hatte. Sie war ein bißchen rot, als sie sich setzte.
Aber es gab wenigstens keine Pause, denn dieses Lied kannte Frau von Teschow aus dem Kopf. Gleich setzte dasHarmonium ein, und gleich sangen alle. Und nun kam die schwarze Minna neben Amanda dran, und die Scheinheilige wählte natürlich wieder: »Aus tiefer Not schrei ich zu dir …«
Und schon sangen sie wieder.
Amanda Backs aber erlaubte sich nun keine Träume mehr, sondern sie saß aufrecht da und wachsam, denn sie wollte sich nicht noch einmal auslachen lassen. Eine ganze Weile geschah gar nichts. Es wurde immer weiter gesungen – zuletzt ohne jeden Schwung, weil es den Leuten langweilig wurde und weil auch die müde Gnädige auf dem Harmonium immer häufiger danebengriff und aus dem Takt geriet. Dann fing das Harmonium an, seltsam zu pfeifen, zu flöten und zu ächzen, die Gänschen auf der hinteren Bank gniggerten wieder, und Frau von Teschow wurde rot, bis sie ihr Instrument von neuem an die Kandare genommen hatte.
Sie wird müde, dachte Amanda. Viel ist sie ja überhaupt nicht mehr. Vielleicht ist ihr jetzt schon die Lust vergangen, ein langes Gequatsche um die Geschichte zu machen, und ich komme rasch zu meinem Hänseken!
Aber davon hatte Amanda Backs keine Ahnung, wie warm eine alte Frau die Sünden der andern machen können, wie sie wieder aufleben kann unter den Fehltritten ihrer Schwestern. Einen Augenblick lang sah es freilich so aus, als wollte die gnädige Frau Schluß machen. Aber dann besann sie sich. Sie trat vor ihre kleine Gemeinde, räusperte sich und sagte ein bißchen eilig und ein bißchen verlegen: »Ja, liebe Kinder, nun könnten wir wohl unser Schlußgebet sprechen und jedes von uns ruhig nach Haus und schlafen gehen, in dem guten Bewußtsein, daß wir unsern Tag recht beschlossen haben. Aber haben wir das wirklich –?«
Die kleine alte Frau sah von einem Gesicht zum andern, ihre Verlegenheit war schon wieder verflogen. Sie hatte auch schon die Regungen ihres bösen Gewissens unterdrückt, das ihr sagte, sie habe etwas vor, was ihr streng untersagt worden war.
»Ja, haben wir das wirklich –? Wenn wir nach Neulohe sehen, und nun gar nach Altlohe, wo sie womöglich noch inder Schenke sitzen, da können wir wohl mit uns zufrieden sein. Aber wenn wir in uns schauen, wie steht es dann mit uns –? Wir Menschen sind schwach, und jeder von uns sündigt jeden Tag. Da ist es gut, wir bekennen es immer wieder einmal öffentlich und sagen vor unsern versammelten Mitchristen, was wir gesündigt haben. Nur die Sünden von einem Tag – und ich selbst will den Anfang machen …«
Damit kniete die alte Frau von Teschow schnell hin, und schon bereitete sie sich mit stillem Beten auf ihr lautes Sündenbekenntnis vor. Durch ihre Schäflein aber ging eine kaum unterdrückte Bewegung, denn es war nicht eines darunter, das nicht wußte, Herr Pastor Lehnich und sogar der Herr Superintendent in Frankfurt hatten der gnädigen Frau das öffentliche Sündenbekennen streng untersagt. Denn es sei ganz wider Christi und Lutheri Geist und rieche nach Heilsarmee, Baptistentum und vor allem nach der verwerflichen Ohrenbeichte der katholischen Kirche!
Wenn aber keiner von den Versammelten aufstand und zum Protest hinausging – und das alte Fräulein von Kuckhoff oder der Diener Elias waren die Leute, das ungescheut zu tun –, so war es eben doch, weil einer wie der andere gespannt war, zu hören, was kommen würde. Denn es ist ja wirklich kaum einer, der ganz ohne Prickeln von den Sünden der andern hört. Jeder hoffte, ihn werde es nicht treffen hinter der gnädigen Frau, und jeder überschlug schnell bei sich die Sünden der letzten Zeit, heimliche und an den Tag geratene, und meinte, so schlimm werde es mit ihm wohl nicht werden.
Die eine aber, die wußte, sie werde bestimmt unter den zweien oder dreien sein, die nachher von der Frau von Teschow aufgerufen wurden, und die wußte, diese ganze Übertretung pastörlicher und superintendentlicher Verbote geschah nur um ihretwillen – die eine saß steif und starr da und ließ es sich nicht anmerken. Unmutig und ärgerlich hörte sie auf das Gestammel der alten Frau, die sehr aufgeregt sein mußte, denn sie warf alles durcheinander, und immer wieder fuhr ihr
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