Wolf unter Wölfen
ehe sie noch damit gezeigt hatte, stürzte die Bank hinten in der dunklen Ecke um, auf der die Gänseken saßen, die es alle übermäßig eilig mit dem Sichverstecken und Unterducken hatten.
Da fing Amanda Backs an zu lachen (und leider, leider lachte ein ganz Teil Leute mit), aber unversehens wurde bei ihr ein Weinen aus dem Lachen. Wütend rief sie: »Einen anständigen Lohn sollten Sie lieber zahlen!«
Und damit rannte sie haltlos weinend aus dem Saal in den dunklen Park. –
Im Saal aber war nicht nur die Bank umgestürzt, sondern der alten gnädigen Frau war auch viel eingestürzt. Zitternd und erbärmlich schluchzend saß sie in ihrem Sessel, und diesmal stand sogar ihre alte Freundin Jutta von Kuckhoff erbarmungslos vor ihr und sagte streng: »Siehst du, Belinde, wer Pech anfaßt, besudelt sich!«
Die Leute aber machten, daß sie aus dem Betsaal kamen. Jetzt sahen sie freilich sehr still und fast betreten aus, aber es war leider kein Zweifel, daß sie bis in ihr Daheim die Sprache wiederfinden würden. Über wen es dann aber hergehen würde, das konnte auch nicht zweifelhaft sein – die Amanda Backs war es sicher nicht, denn die war als Siegerin aus dem Gefecht hervorgegangen!
Sie freilich, die jetzt noch sehr aufgeregt und verheult im Park herumlief, fühlte sich gar nicht so, und sie schimpfte sich Esel und doofe Nuß, daß sie die eigene und Hänsekens Sache so schlimm verfahren hatte. Einmal blieb sie stehen, weil sie etwas am Zaun fuhrwerken sah, und das war der alteGeheimrat. Sie wollte sich schon ein Herz fassen und ihn um Gnade bitten, aber die Erfahrungen ihres jungen Lebens warnten sie, irgend etwas von irgend jemand zu erbitten.
So lief sie weiter durch den Park, und allmählich wurde sie ruhiger. Sie wusch sich am Teich das Gesicht im kühlen Wasser und ging zu ihrem Hänseken. Sie kam aber grade, als der Geheimrat an das Fenster klopfte und nach dem Inspektor Meier rief. Und hörte, wie drinnen beim Hänseken eine Frau erschreckt aufkreischte.
7
Draußen schwindet das letzte abendliche Dämmerlicht rasch in Dunkelheit hinüber. Es ist neun Uhr vorbei. Schon brennen auf den Straßen die Laternen. Die längst verwitwete Frau Pagel steht am Fenster von Wolfgangs Zimmer. Sie sieht hinaus in die Gärten, die nun schon fast dunkel sind. Aber hinten flammt und blinkt es, ein rötlicher Schein liegt über der Stadt – bedenkt sie, unter welcher Lampe der Sohn jetzt sitzen, das geraubte Geld vertun mag?
Sie wendet sich in das Zimmer hinein, wo im Lichtschein das Mädchen Minna einen Koffer packt, und sagt ungeduldig: »Machen Sie doch zu, Minna! Er kann jeden Augenblick nach den Sachen kommen!«
Das Mädchen Minna sieht nicht auf von den Säckchen, in die sie die sorgfältig aufgeblockten Schuhe schiebt. »Er kommt doch nicht, gnä’ Frau«, sagt sie.
Frau Pagel wird ärgerlich – Minnas Antwort klingt ja fast so, als müsse ihr ein sehnlichst erwarteter Besuch ausgeredet werden! Sie sagt kurz: »Sie wissen ganz gut, was ich meine, Minna. Dann schickt er eben jemanden wegen der Sachen!«
Minna packt weiter, sehr geruhig, ohne alle Hast. »Den Schrankkoffer hätten gnä’ Frau auch nicht gerade zu geben brauchen. Wenn nun gnädige Frau im Frühjahr nach Ems fahren, haben Sie keinen anständigen Koffer!«
»Dumme Person!« sagt die gnädige Frau bloß und siehtaus dem Fenster. – Man kann zwar – wegen der dichten Baumkronen – die Straße nicht sehen, aber man hört in der tiefen Stille hier jeden Schritt, jedes anfahrende Auto.
»Soll der Bademantel auch rein, gnä’ Frau?« fragt die Minna.
»Wie –?!« fragt Frau Pagel. »Ach so, der Bademantel. – Natürlich. Alles, was ihm gehört, wird eingepackt.«
Minna macht ein mucksches Gesicht. »Dann muß ich aber noch auf den Boden«, sagt sie, »und die Bücherkisten holen. Ich weiß nicht, ob der Hausmann noch auf ist. Allein schaffe ich die Kisten nicht.«
»Die Bücher haben Zeit«, sagt die alte Frau, ärgerlich über diese ständigen Schwierigkeiten. »Sie können ihn ja fragen, ob er sie haben will, wenn er kommt.«
»Er kommt doch nicht, gnä’ Frau«, sagt das alte Mädchen Minna eintönig, aber rechthaberisch.
Diesmal hat Frau Pagel nicht hingehört, diesmal braucht sie sich nicht über die Dickköpfigkeit des Mädchens zu ärgern. Sie lauscht auf die Straße, halb lehnt sie aus dem Fenster, sie horcht, sie lauscht … ein Schritt …
Das Mädchen, wenn es ihr auch den Rücken kehrt, hat gespürt, daß etwas vorgeht.
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