Wolf unter Wölfen
unter vielen Tränen, er möge doch der lieben, guten gnädigen Frau ihre Segenswünsche sagen und ihren herzlichen Dank dazu! Und ob sie ihr nicht zum Abschied noch die Hand küssen dürfe –?
Der Elias, der dies Theater auch schon kannte, sagte dann immer nein. Da weinte die schwarze Minna noch bitterlicher und zog ab in die wilde, weite Welt, mit ihren vaterlosen Kindern – bis zum Prellstein an der Einfahrt zum Schloß. Da saß sie und weinte und wartete, und je nach dem Zorn, den die Gnädige auf sie hatte, mußte sie ein, zwei oder auch fünf Stunden warten, und manchmal sogar einen halben Tag.
Daß sie aber nicht umsonst warten würde, das wußte sie, und wenn sie’s nicht aus Erfahrung gewußt hätte, dann sah sie’s – nämlich an den Gardinen im Schloß. Denn die schob die alte Dame mit zitternden Händen hin und her und konnte es nicht lassen, auf ihr verirrtes Lieblingslamm zu schauen.
Wenn aber der Fall wieder einmal ganz schlimm lag, und Frau von Teschow wußte es vom Schulzen Haase über ihren Mann, daß dieses Mal bestimmt drei Männer in Frage kamen, und vielleicht waren es sogar fünf, nicht zu reden von denen, die die schwarze Minna aus »Sympathie« verheimlichte (denn die schwarze Minna unterschied bei ihrem Umgang genau zwischen »sympathischen« Männern und belanglosen Mitläufern) – dann verhärtete die Gnädige ihr weiches, weltunerfahrenes Herz und bedachte all dies Sodomund Gomorrha und erinnerte sich, wie oft die schwarze Minna ihr schon Besserung gelobt hatte.
Und sie ließ die Gardine aus ihrer Hand und sagte zu ihrer Freundin, dem alten Fräulein von Kuckhoff, die immer bei ihr lebte: »Nein, Jutta, diesmal lasse ich mich nicht wieder erweichen. Und ich will auch nicht mehr aus dem Fenster nach ihr sehen …«
Und das alte Fräulein von Kuckhoff, mit dem schwarzen Samtband um den Hals, nickte energisch mit ihrem alten, kleinen Raubvogelkopf und sagte in ihrer blumigen, aber deutlichen Art: »Gewiß, Belinde – ein Kamel säuft schließlich auch einen Brunnen aus.«
Ja, und dann verging sicher keine halbe Stunde, daß es sanft an die Tür klopfte und der alte Elias meldete: »Halten zu Gnaden, gnädige Frau, aber ich soll es ja melden: Jetzt macht sie sich frei.«
Und richtig, wenn dann die beiden Damen jede an ein Fenster stürzten, da saß dann diese arme, heimatlose Person auf dem Prellstein, hatte die Bluse aufgeknöpft und nährte ihre jüngste Sündenfrucht.
Dann sagte die Gnädige seufzend: »Ich glaube, Jutta, wir können dies neue Ärgernis nicht verantworten.«
Und Jutta erwiderte dunkel: »Es sind die schlechtesten Früchte nicht, an denen solche Wespen nagen!«, was Frau von Teschow aber als eine Billigung ihrer Absichten auffaßte.
»Nein, Elias, ich gehe selbst«, sagte sie eilig, denn wenn Elias auch schon hoch in den Sechzigern hielt, ob er einem solchen Anblick gewachsen war, blieb ungewiß. So ging die alte Frau von Teschow persönlich zu der Sünderin hinunter, die eilig die Bluse schloß, wenn sie nur die Gnädige aus dem Schloß treten sah. Denn vielleicht merkte die es doch, daß dies Nähren bloß Theater war; die schwarze Minna konnte nämlich gar nicht nähren und hatte alle ihre Kinder mit der Flasche aufgezogen. Das aber brauchte die Gnädige nicht zu wissen.
So zogen denn die beiden wieder in den Arme-Leute-Katen ein, und die alte Frau ging neben der lächerlichen Fuhreeinher und kam gar nicht auf den Gedanken, daß die Leute über sie spotten oder lachen könnten. Sondern sie erweichte ihr Herz und machte es demütig und erinnerte sich daran, wie auch sie einmal fast der Versuchung unterlegen wäre, als der schneidige Leutnant von Pritzwitz ihr hinter der Tür vor nun über vierzig Jahren hatte einen Kuß geben wollen – und sie war damals doch schon mit Horst-Heinz so gut wie verlobt gewesen!
Und wenn sie dann mit der schwarzen Minna über die Türschwelle des Leutekatens trat, war sie soweit, alles zu verstehen und alles zu verzeihen, und wenn sie auch nicht dumm genug war, die Tränen der Sünderin völlig für bare Münze zu nehmen, so dachte sie doch in ihrem Herzen: Ein ganz klein bißchen ehrlich meint sie es ja doch, und ein ganz klein bißchen leid tut es ihr doch – und was weiß ich, wieviel Reue Gott von uns verlangt!
So dachte die alte Frau von Teschow, und so handelte sie – und selbst Amanda Backs hätte das ja ganz nett und freundlich finden können, wenn das gute Herz der gnädigen Frau nur
allen
Sündern so liebreich
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